Was hat die Revolution der Datenschutzgesetzgebung für Wurzeln, was für Auswirkungen? Welches Urheberrecht gilt im digitalen Raum? Der Versuch einer Annäherung ist hier zu lesen.
Positionspapier
Im Moment geht die Tendenz wieder in Richtung des digitalen Unterrichts, wenngleich zum Glück
das zusammen Musizieren vor Ort noch nicht gänzlich unmöglich geworden ist. Die digitalen
Möglichkeiten haben bereits großes geleistet; unter Musikern und Forschern besteht hingegen
weitgehend Konsens, dass Apps und Tools ein Live Musizieren nicht ersetzen können.
Bei jedem digitalen Werkzeug sollte man sich dementsprechend fragen, ob es überhaupt etwas
vorher schon vorhandenes verbessert. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein; dennoch liegen im
„blended learning“ viele Chancen die besonders in der Krise von Bedeutung sind.
Da unsere Musikschule dezentral in einem Flächenlandkreis organisiert ist, kann das Internet sicher
für die Zusammenarbeit hilfreich sein. Stefan Muhle, Staatssekretär im Niedersächsischen
Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung spricht von einer Schlüsselrolle der
digitalen Infrastruktur im Flächenland Niedersachsen.
Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland repräsentieren einen Teil der kulturellen Werte
unserer Gesellschaft. Unser Bildungsauftrag erlaubt, frei von privatwirtschaftlichen Interessen die
Kreativität, Persönlichkeit, Ausdauer, Konzentration soziale Kompetenz unserer SchülerInnen zu
Entwickeln und zu fördern. Diese Leitlinie sollte sich auch in einem Datenschutzkonzept
niederschlagen, welches unsere eigene Darstellung als berechtigtes Interesse nicht außer acht lässt.
Unsere heutige globalisierte Informations- und Wissensgesellschaft ist ohne einen kontinuierlichen
Datenaustausch kaum vorstellbar. Allerdings kommt es dabei immer wieder zu Pannen und
Mißbrauch. Es passiert, dass Patientendaten versehentlich veröffentlicht, oder Kontodaten
systematisch geklaut werden. Aus diesem Grund wird das Thema Datenschutz mehr denn je
diskutiert. Aber was bedeutet Datenschutz eigentlich? Der Begriff „Datenschutz“ kann leicht
mißverstanden werden. Denn es geht nicht direkt um den Schutz von Daten vor Verlust oder
Diebstahl. Dieses eher technische Themenfeld nennt sich Datensicherheit. Datenschutz bezieht sich
vielmehr auf den Schutz der Menschen, deren Daten erhoben und verwendet werden. Dabei wird
von dem Grundsatz ausgegangen, daß jeder Mensch selbst bestimmen sollte, wem er welche seiner
Daten bekannt gibt. Zu den schutzbedürftigen Daten gehören einerseits persönliche Angaben wie
Name, Anschrift oder Familienstand; sowie andererseits sachliche Angaben wie Autokennzeichen
oder Eigentumsverhältnisse. Die zentrale Aufgabe des Datenschutzes ist es, sicherzustellen, daß der
Umgang mit solchen Daten niemanden schädigt oder unnötig einschränkt. Mit der Einführung der
elektronischen Datenverarbeitung Mitte der 60er Jahre erlangte das Thema Datenschutz erstmals
große Bedeutung. Mit den neuen Systemen konnten insbesondere staatliche Behörden so viele
personenbezogene Daten verwalten und verknüpfen wie nie zuvor. Zunehmend wurde bewußt, daß
der Umgang mit solchen Daten geregelt werden muß um einen Mißbrauch zu verhindern.
Infolgedessen wurden seit Ende der 70er Jahre in Deutschland sowohl für die öffentliche
Verwaltung als auch für den gewerblichen Bereich Datenschutzregeln geschaffen. Zentraler
Bezugspunkt ist dabei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – also das Recht, selbst über
die Verarbeitung seiner Daten bestimmen zu können. Allerdings hat sich der Datenverkehr in den
letzten Jahrzehnten weit über die nationalen Grenzen ausgeweitet. Dank technischer Entwicklungen
wie dem Internet können Daten heute ohne großen Aufwand weltweit ausgetauscht werden. Da
viele Daten auch in Ländern mit weniger strengen Datenschutzregeln verarbeitet werden, lassen
sich die deutschen Datenschutzbestimmungen kaum durchsetzen. Technische Entwicklungen wie
soziale Netzwerke oder elektronische Zahlungsmethoden schaffen zudem immer neue
Möglichkeiten zur Datensammlung. Der technische Fortschritt ist derart dynamisch, dass die
meisten gesetzlichen Regelungen der tatsächlichen Entwicklung stark hinterherhinken. Die folgende
Übersicht skizziert die Entwicklungen im Internet seit der Zeit des „Filesharing“:
1998 Bill Clinton unterzeichnet den DMCA „Digital Millennium Copyright Act“ - dieser enthält das „Safe
Harbor“ Abkommen. „Safe Harbor“ erlaubt den Export von Nutzerdaten in Länder mit niedrigeren Standards –
Europa nach USA – wenn die nutzenden Firmen sich auf die vereinbarten Standards verpflichten.
2013 Edward Snowden schildert, wie NSA auf Konzerndaten von Google und Facebook zugreift. Max Schrems
verklagt die irische Datenschutzbehörde. Der Fall geht zum Europäischen Gerichtshof.
2015 erklärt der Europäische Gerichtshof das derzeitige Datenschutzabkommen für Datentransfer zwischen der
EU und den USA für unzulässig und rechtswidrig.
2016 tritt als Nachfolger von „Safe Harbor“ der EU-US Privacy Shield in Kraft. Die EU-Datenschutzreform
führt zum Erlass der Datenschutz-Grundverordnung DS-GVO – welche 2016 beschlossen wurde und ab 2018
galt.
2020 wird der EU-US Privacy Shield vom EuGH durch das Schrems II – Urteil für ungültig erklärt.
Die DSGVO ...
...vereinheitlicht seit dem 25. Mai 2018 EU-weit die Datenschutzbestimmungen. Einher ging eine
Erhöhung der Bußgelder. Kernprinzip ist erneut die informationelle Selbstbestimmung. In Kapitel 2
Artikel 5 bis 11 der Verordnung 3 werden die grundlegenden Ziele ausformuliert: Rechtmäßigkeit,
Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz. Der Zweck der Datenerhebung muß festgelegt,
legitim und transparent sein. Es sollen nur die Daten erhoben werden, die auch zum gegebenen
Zweck angemessen und notwendig sind – also möglichst nur wenige. Personenbezogene Daten die
falsch sind müssen unverzüglich gelöscht oder berichtigt werden. Die Dauer der Speicherung ist nur
so lange gestattet, wie es für die Verarbeitungszwecke notwendig ist. Die Sicherheit der
personenbezogenen Daten muß für die Zeit der Speicherung gewährleistet sein. Gibt man seine
Daten preis, soll man als „betroffene Person“ sowohl bestimmen können was gesammelt wird, als
auch wie und zu welchem Zweck die Daten gesammelt werden. Datenverarbeitende Stellen müssen
Transparenz gewähren und unterliegen der Informationspflicht. Eine Verarbeitung
personenbezogener Daten ist rechtmäßig, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung für die sie
betreffenden Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben hat. Die Verwendung von
Daten muß also möglichst ökonomisch, für die betroffenen Personen transparent und auf bestimmte
Zeiträume und Zwecke beschränkt erfolgen. Am besten und sichersten erfolgt die Einwilligung der
betroffenen Person durch eine schriftliche Erklärung, die keine anderen Sachverhalte betrifft
(Artikel 7 4 ). Mit 16 5 erlangen Jugendliche Ihre informationelle Selbstbestimmung. Vorher ist die
Verarbeitung von Daten nur rechtmäßig, wenn die Einwilligung durch den Träger der elterlichen
Verantwortung oder mit dessen Zustimmung erfolgt.
Dies sind die Rahmenbedingungen unter denen eine sinnvolle Datenverwendung durch die
Musikschule gegeben wäre. Was die DSGVO angeht gibt es bereits einige Beispiele anderer
Musikschulen, die entsprechende Paragraphen in ihre Satzungen und Informationsblätter in ihre
Anmeldebögen integriert haben. Damit ist die alltägliche Datennutzung der Musikschule abgedeckt;
hingegen bleibt die Frage offen wie mit Facebook, Instagram und Youtube umgegangen wird. Für
das rechtmäßige Interesse der besseren Darstellung der Musikschule wäre ein Auftritt
wünschenswert. Eine mögliche Antwort ist ein Auftritt ohne die Verwendung personenbezogener
Daten 6 , oder nur solcher von Lehrern die dazu eingewilligt haben. Wen müssen wir denn eigentlich
Fragen, bevor wir etwas auf Facebook oder Instagram posten dürfen? So lange keine
personenbezogenen Daten unserer Schutzbefohlenen im Spiel sind, hauptsächlich uns selbst. Finden
wir jemanden, der die Werte der Musikschule und wofür sie steht angemessen in die sozialen
Netzwerke transportieren kann? Ein positives Beispiel ist die Werbekampagne der Berliner
Verkehrsbetriebe 7 , deren Bahnen immer noch zu spät kommen - aber ihr Image hat sich durch
Auftritte in sozialen Netzwerken komplett gewandelt. Wandeln sich die BVG vom notwendigen
Übel zum liebevollen Begleiter, werden wir aus der Versenkung erst sichtbar – und es gäbe viele
positive Facetten die zu zeigen sich lohnt. Die Generation, die jetzt gerade als Eltern an der
Musikschule ankommt, nimmt wohl als Nachrichtenkanal tendenziell immer weniger die
Lokalzeitung als in zunehmendem Maß digitale Kanäle wahr. Hier ergibt sich die Gelegenheit,
unsere umfassende Kompetenz und Vernetzung zielgerichtet darzustellen.
Des Weiteren gibt es die gerade sehr moderne Möglichkeit der „kollaborativen Musikproduktion
über Distanz“ - gemeinsam online Musik machen. Auf Youtube findet sich ein Clip der Musikschule
Böblingen, der aus SchülerInnen-Clips zusammengeschnitten wurde. Solche Projekte lassen sich
mit einer zweckbestimmten Einwilligung der betroffenen Personen realisieren.
Grundsätzlich ist das Fotokopieren aus veröffentlichten Werken der Musik – also aus gekauften
Notenheften – nicht gestattet. Dies ist im Urheberrechtsgesetz im §53 Abs. 4 11 geregelt. Im Gesetz
wird der Vorgang „Vervielfältigung“ genannt. Absatz 4 Paragraph b Satz 3 erlaubt hingegen das
Abschreiben eines Werks.
Für die Zwecke der Wissenschaft oder des Unterrichts macht das Gesetz eine Ausnahme vom
Vervielfältigungsverbot: Im §60a Absatz 1 12 steht, daß „zur Veranschaulichung des Unterrichts und
der Lehre an Bildungseinrichtungen [...] zu nicht kommerziellen Zwecken bis zu 15 Prozent eines
veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger
Weise öffentlich wiedergegeben werden“ darf. Dies gilt für Lehrende, SchülerInnen, Prüfer sowie
dritte; wenn der Unterricht davon profitiert. Wichtig ist im §60 wiederum der Nebensatz, dass
„sonstige Werke geringen Umfangs“ und vergriffene Werke vollständig genutzt (kopiert) werden
dürfen.
Es wird wohl davon ausgegangen, daß die Musikschulen als gewachsene Struktur des öffentlichen
Lebens für den Unterricht auf bekannte und veröffentlichte Werke zurückgreifen und sie zu diesem
Zweck bisweilen in Papierform vervielfältigen. So besteht zwischen dem Verband deutscher
Musikschulen und den Verwertungsgesellschaften ein Pauschalvertrag zu Kopierlizenzen. Das
Kopieren erfolgt dann „ohne besondere Genehmigung, aber gegen Zahlung einer Vergütung“.
2017 warb der VDM 14 für einen Pauschalvertrag zwischen VDM, GEMA und VG Musikedition mit
verbesserten Konditionen für öffentliche Musikschulen für das Kopieren von Noten. So sank die
Vergütung nach SchülerInnenzahl um fast die Hälfte. Wenn eine Musikschule diesen Deal
akzeptierte, durften nun „kleinere Werke wie Lieder, Pop-Songs oder vergleichbare abgeschlossene
Werke aus anderen Stilbereichen mit einer Spieldauer von max. etwa 5 Minuten sowie 20 Prozent
von Werken größeren Umfangs“ kopiert werden. Die Musikschulen, welche nicht an dem
Pauschalvertrag teilnehmen, sind angehalten die notwendigen Rechte an Werken einzeln bei der
GEMA zu erwerben.
Neben den im Unterricht hervorragend bewährten Printmedien hat sich im Internet eine Welt der
symbolischen Notationsformate und -programme entwickelt. Bei materiellen Gütern gibt es einen
Zusammenhang zwischen Knappheit und Wert, dieses Verhältnis ist bei immateriellen Produkten
wie Downloads nicht gegeben. Hier sind wenn nicht gegensätzliche, so völlig andere
Verteilungsmechanismen im Gang. Als ein Beispiel sei die „Petrucci Bibliothek“ oder IMSLP 15
genannt, in der sich über 160000 Autographen und Transkriptionen von etwa 20000 Komponisten
als gemeinfreie Musik herunterladen lassen. Mit Web 2.0 ist aus dem Internet ein kollaboratives,
interaktives Medium geworden – jeder Nutzer kann Inhalte und somit auch Noten hochladen; und
so ist unter Anderem MuseScore 16 entstanden. Die Software ist Lizenzfrei und auf alle Endgeräte
portabel. Der besondere Mehrwert entsteht durch die große Internet-Community, in der man nach
Bedarf auf riesige Mengen an Noten aller Instrumentengruppen zugreifen kann. Aber auch
SchülerInnen kann man eine MuseScore-Datei schicken, sozusagen als abspielbares Notenblatt.
Von der Software-Toolchain unabhängig bieten sich pdf-Dateien in einer Cloud als Möglichkeit der
Zusammenarbeit für Fachkollegen gleicher Instrumentengruppen.
Nach der Vorgabe durch die §§10 und 58 Abs. 1 Nr. 5 des NKomVG hat die Vertretung des
Landkreises Rotenburg Wümme als unsere „Mutter“ die Angelegenheiten der Kreismusikschule
über eine Satzung geregelt. Es folgen Auszüge aus dem Niedersächsischen
Kommunalverfassungsgesetz 17 im Hinblick auf die Eingliederung der Kreismusikschule in die
Verwaltung:
§ 1
Selbstverwaltung
(1) Die Gemeinden, die Samtgemeinden, die Landkreise und die Region Hannover (Kommunen) verwalten ihre
Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung mit dem Ziel, das Wohl ihrer
Einwohnerinnen und Einwohner zu fördern.
§ 4
Aufgabenerfüllung der Kommunen
1 Die
Kommunen [...] stellen in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für ihre Einwohnerinnen und
Einwohner erforderlichen sozialen, kulturellen, sportlichen und wirtschaftlichen öffentlichen Einrichtungen
bereit.
§ 140
Eigenbetriebe
(1) Die Kommune hat für ihre Eigenbetriebe Betriebssatzungen zu erlassen.
(2) Für die Eigenbetriebe sind Betriebsausschüsse zu bilden.
(3) 1 Die Vertretung kann den Betriebsausschüssen durch die Betriebssatzung bestimmte Angelegenheiten zur
eigenen Entscheidung übertragen. 2 Ist die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte der
Auffassung, dass ein Beschluss des Betriebsausschusses das Gesetz verletzt, die Befugnisse des Ausschusses
überschreitet oder das Wohl der Kommune gefährdet, so hat sie oder er eine Entscheidung des Hauptausschusses
herbeizuführen.
(4) Die laufenden Geschäfte des Eigenbetriebs führt die Betriebsleitung.
(5) Die Wirtschaftsführung und das Rechnungswesen der Eigenbetriebe richten sich im Übrigen nach den
erlassenen Verordnungsregelungen für Eigenbetriebe nach § 178 Abs. 1 Nr. 12.
Nicht nur verwaltungsmäßige Vorgänge, auch das kulturelle Leben findet immer mehr im digitalen
Raum statt. Im Sinne des §140 Satz 1 wäre dementsprechend vorzuschlagen, der Satzung einen
Paragraph zu gespeicherten Daten hinzuzufügen. Liest man weiter, entsteht fast eine
Notwendigkeit. Rechtmäßige Zwecke der Datenspeicherung die in der Satzung verankert werden
sollten sind etwa Gebührenerhebung und Bekanntmachungen. Des Weiteren fehlen Informationen
über Compliance zur DSGVO und Anschrift des Datenschutzbeauftragten. Manche Satzungen
erwähnen auch die Musikschullehrer als betroffene Personen.
Wie bereits oben erwähnt findet man auch bereits bei der Anmeldung für den Musikunterricht
bisweilen den DSGVO-Hinweis. Es kann nicht schaden, wenn wir unser Anmeldeformular
überprüfen und gegebenenfalls Aussehen, Zugänglichkeit und Vollständigkeit des Formulars
verbessern soweit möglich.
Möglicherweise kann darüber hinaus als berechtigtes Interesse der Musikschule gelten, über
besondere Ereignisse des schulischen Lebens zu berichten und die Tagespresse zu informieren - Im
Internet gilt eine optimierte Darstellung der Webseite als ein berechtigtes Interesse im Sinne von
Artikel 6 Absatz 1 lit. f der DSGVO. Optimal wäre eine Datenschutzerklärung, die dies als
„Datenverarbeitung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit“ ermöglicht. Hierbei nehmen sich viele
Schulen das Recht heraus, Bilder von schulischen oder gesellschaftlichen Veranstaltungen ohne
gesonderte Einwilligung zu veröffentlichen – Bilder von Einzelpersonen oder Kleingruppen
hingegen werden davon ausgenommen.
Dienstag, 3. November 2020
Die Ökonomie der Ideen
Die Ökonomie der Ideen
Alles, was Sie über geistiges Eigentum wissen, ist falsch.
von John Perry Barlow, veröffentlicht im Januar 1994.
Übersetzung Carsten Neubauer
Wenn die Natur irgendeine Sache weniger festlegbar als jedweden anderen exklusiven Besitz gemacht hat, so ist es die Handlung der denkenden Kraft, die Idee genannt wird, die ein Individuum exklusiv besitzen kann, so lange es sie für sich behält; jedoch im Moment ihrer Enthüllung zwingt sie sich in jedermanns Besitz, und der Empfänger kann sich ihrer nicht entledigen. Ihr besonderer Charakter ist außerdem, dass niemand weniger besitzt, da jeder sie als Ganzes besitzt. Derjenige, der eine Idee von mir empfängt, bekommt Information ohne meine zu mindern; genau wie jemand, der seine Fackel an meiner entzündet, Licht erhält ohne mich zu verdunkeln. Dass die Ideen sich frei vom einen zum anderen über den Globus verbreiten sollten, zur gegenseitigen und moralischen Unterrichtung des Menschen und der Verbesserung seines Zustands, scheint für Gedanken typisch und wohlwollend von der Natur so eingerichtet zu sein, da sie sie erschuf, wie Feuer, ausbreitungsfähig über den gesamten Raum, ohne ihre Dichte an irgendeinem Punkt zu verringern, und wie die Luft in der wir atmen, uns bewegen und unsere physische Existenz haben, jedweder Einschränkung oder exklusiven Inbesitznahme unfähig. Erfindungen können also nicht, von Natur aus, besessen werden.
-Thomas Jefferson
Während der gesamten Zeit, die ich im Cyberspace herumirrte, blieb ein tiefes Rätsel ungelöst, das die Wurzel jedes rechtlichen, ethischen, staatlichen und sozialen Ärgernisses in der virtuellen Welt zu sein scheint. Ich rede vom Problem des digitalisierten Besitzes.
Das Rätsel ist folgendes: Wenn unser Besitz unendlich reproduziert und sofort kostenlos über den ganzen Planeten verbreitet werden kann, ohne unser Wissen, ohne dass er überhaupt aufhört, unser Besitz zu sein, wie können wir ihn schützen? Wie werden wir bezahlt werden für die Arbeit, die unsere Gehirne leisten? Und, falls wir nicht bezahlt werden können, was wird die kontinuierliche Erschaffung und Verbreitung solcher Arbeiten sicherstellen?
Da wir keine Lösung für diese völlig neue Herausforderung haben und offensichtlich unfähig sind, die galloppierende Digitalisierung von allem, das nicht hartnäckig physisch ist, zu verzögern, segeln wir auf einem sinkenden Schiff in die Zukunft.
Dieses Schiff, der akkumulierte Kanon der Copyright- und Patentgesetze, wurde zum Tragen von Formen und Ausdrucksmethoden entwickelt, die sich komplett von der dunstigen Fracht, die es nun befördern soll, unterscheiden. Es ist von innen gleichermaßen wie von außen Leck geschlagen.
Rechtliche Versuche, das alte Boot am Sinken zu hindern, nehmen drei Formen an: Ein wildes Umstellen der Stühle an Deck, strenge Ermahnungen der Passagiere, dass kriminelle unter ihnen harte Strafen erwarten falls das Boot sinkt, sowie erhabenes, ausdrucksloses Dementieren.
Die Gesetzgebung zum intellektuellen Besitz kann genauso wenig geflickt, rückwirkend geändert oder erweitert werden um die Gase des digitalisierten Ausdrucks zu erfassen wie die Gesetze zum Grundeigentum überarbeitet werden könnten um die Zuweisung von Übertragungsfrequenzen zu regeln (Was tatsächlich eher dem entspricht, was hier versucht wird). Wir werden völlig neue Methoden entwickeln müssen, die diesen völlig neuen Umständen gerecht werden.
Die meisten Leute, die derzeit immaterielle Güter herstellen – die Programmierer, Hacker und Netzsurfer – wissen dies bereits. Unglücklicherweise haben weder die Firmen, für die sie arbeiten noch die Rechtsanwälte, die von diesen Firmen beauftragt werden, genügend direkte Erfahrung mit immateriellen Gütern um zu verstehen, warum diese so problematisch sind. Sie fahren fort als wären die alten Gesetze irgendwie wieder zum Funktionieren zu bekommen, entweder durch groteske Erweiterung oder mit Gewalt. Sie liegen falsch.
Der Ursprung dieses Rätsels ist so simpel wie seine Lösung komplex ist. Die digitale Technologie trennt Informationen von der physikalischen Ebene, auf der jedwedes Eigentumsrecht bisher immer seine Definition fand.
Die ganze Geschichte von Urheberrecht und Patenten hindurch waren die eigentumsrechtlichen Behauptungen der Denker nicht auf ihre Gedanken, sondern auf das Ausdrücken dieser Gedanken gerichtet. Die Gedanken selber wurden genau wie Fakten über die Phänomene der Welt als Kollektiveigentum der Menschheit angesehen. Im Fall des Copyrights konnte man auf den exakten Wortlaut, der einen bestimmten Gedanken transportiert oder die Reihenfolge, in der Fakten präsentiert werden Konzession verlangen.
Der Punkt an dem diese Konzession auferlegt wurde war der Moment in dem “das Wort Fleisch wurde”, indem es den Geist des Urhebers verläßt und in ein physikalisches Objekt, sei es ein Buch oder etwas anderes, eingeht. Das spätere Aufkommen anderer kommerzieller Medien änderte nichts an der rechtlichen Bedeutung dieses Moments. Das Gesetz schützte den Ausdruck und, mit einigen kürzlichen Ausnahmen, Ausdrücken bedeutete physisch machen.
Den physikalischen Ausdruck zu schützen hatte die Kraft der Praktikabilität auf seiner Seite. Das Copyright funktionierte gut, da es trotz Gutenberg schwierig war, ein Buch herzustellen. Außerdem froren Bücher ihren Inhalt in eine Form, die genau so schwierig zu verändern wie zu reproduzieren war. Das Fälschen oder die Verbreitung von gefälschten Exemplaren waren offensichtliche Aktivitäten, und jemanden bei einer solchen Aktivität zu erwischen war recht einfach. Schließlich hatten Bücher im Unterschied zu unbegrenzten Wörtern und Bildern materielle Oberflächen, auf denen sich Copyright-Notizen, Zeichen des Verlegers und Preisschilder anbringen ließen.
Die Konvertierung von Mentalem zu Physischem war noch zentraler für das Patent. Ein Patent war bis vor kurzem entweder eine Beschreibung der Form, in die bestimmte Materialien gebracht werden mussten um einem bestimmten Zweck zu dienen oder eine Beschreibung des Prozesses der Umformung. In beiden Fällen war das konzeptionelle Herz des Patents das materielle Resultat. Wenn durch materielle Beschränkung kein Zweck erfüllendes Objekt hergestellt werden konnte, wurde das Patent abgelehnt. Weder eine Kleinsche Flasche noch eine Schaufel aus Seide konnte patentiert werden. Es musste dinglich sein, und das Ding musste funktionieren.
Die Gesetze zur Erfindung und Autorschaft hielten sich also an Aktivitäten in der physischen Welt. Man wurde nicht für seine Ideen bezahlt, sondern für die Fähigkeit, sie in die Realität zu überführen. Für alle praktischen Zwecke war der Wert in der Beschreibung und nicht in der beschriebenen Idee.
In anderen Worten: Die Flasche war geschützt, nicht der Wein.
Jetzt, wo die Information in den Cyberspace eintritt, die Heimat des Geistes, verschwinden diese Flaschen. Mit dem Kommen der Digitalisierung ist es nun möglich, alle vorherigen Informationsaufbewahrungsverfahren durch eine meta-Flasche zu ersetzen: Komplexe – und höchst flüssige – Muster von Einsen und Nullen.
Selbst die physisch-/digitalen Flaschen an die wir uns gewöhnt haben, Floppy Disks, CD-ROMs und andere verschiedene, einschweißbare Bit-Pakete werden verschwinden, wenn alle Computer sich im globalen Netz zusammenschließen. Obwohl das Internet niemals jeden einzelnen CPU des Planeten enthalten wird, vergrößert es sich jedes Jahr um mehr als das Doppelte und könnte die Erwartung erfüllen, das wichtigste Medium zur Informationsübertragung der Zukunft zu werden, wenn nicht das einzige.
Sobald das passiert ist, werden sämtliche Güter des Informationszeitalters – all das, was einst in Büchern, Filmen, Schallplatten oder Zeitungen ausgedrückt wurde – nur noch als pure Gedanken oder etwas dem sehr ähnlichen existieren: Spannungszustände die mit Lichtgeschwindigkeit durch das Netz schießen, Zustände deren Effekt man als glühende Pixel oder übertragene Klänge beobachten kann, die man aber niemals berühren oder im alten Sinn des Wortes „besitzen“ kann.
Einige werden behaupten, dass Informationen immer noch eine physische Manifestation brauchen werden, wie ihre magnetische Existenz auf den titanischen Festplatten entfernter Server, aber diese sind Flaschen die keine makroskopisch unterscheidbare oder persönlich bedeutungsvolle Form haben.
Einige werden weiterhin behaupten, dass wir seit dem Kommen des Radios mit flaschenloser Expression umgehen, und sie hätten recht. Aber während der längsten Zeit der Geschichte der Rundfunkübertragung gab es keinen geeigneten Weg, um virtuelle Güter aus dem elektromagnetischen Äther aufzufangen und in der Qualität von kommerziellen Veröffentlichungen zu reproduzieren. Erst kürzlich hat sich dies geändert, und wenig wurde auf rechtlichem oder technischem Weg getan, um dem Wandel zu begegnen.
Generell war das Thema der Gebühren für Konsumenten auf Rundfunkprodukte irrelevant. Die Konsumenten waren selber das Produkt. Die Rundfunkmedien wurden unterstützt entweder durch das Verkaufen der Aufmerksamkeit ihres Publikums an Werbekunden, indem sie Zahlungen von der Regierung durch Steuern festlegen ließen, oder weinerliches Betteln an jährlichen Spendenkampagnen.
Alle Modelle zur Unterstützung des Rundfunks sind unzureichend. Die Unterstützung durch Werbekunden oder die Regierung hat fast immer die Reinheit der gelieferten Waren befleckt. Übrigens löst das Direktmarketing sowieso allmählich das Werbekunden-Unterstützungs-Modell ab.
Die Rundfunkmedien gaben uns eine andere Methode der Zahlung mit den Tantiemen, die Rundfunksender den Songschreibern über Organisationen wie die ASCAP oder BMI zahlen. Als ein Mitgleid der ASCAP kann ich ihnen jedoch versichern, dass dies kein Modell ist, dem wir nacheifern sollten. Die Überwachungsmethoden sind sehr ungefähr. Es gibt kein paralleles Abrechnungssystem im Einkommensstrom. Es funktioniert nicht wirklich. Ehrlich.
Ohne unsere alten Methoden der physischen Bestimmung des Ausdrucks von Gedanken und in Abwesenheit von erfolgreichen neuen Modellen für nicht-physische Transaktionen wissen wir auf jeden Fall einfach nicht, wie verlässliche Zahlungen für geistige Arbeit zu sichern sind. Um alles noch schlimmer zu machen kommt dies zu einer Zeit, in der der menschliche Geist Sonnenlicht und Mineralvorkommen als die hauptsächliche Quelle neuen Reichtums ablöst.
Weiterhin bringt die immer schwieriger werdende Durchsetzung der bestehenden Copyright- und Patentgesetze bereits die ultimative Quelle intellektuellen Eigentums, den freien Austausch von Ideen, in Gefahr.
Wenn also die primären Artikel des Kommerzes in einer Gesellschaft so sehr nach Sprache aussehen, dass sie von ihr ununterscheidbar sind, und wenn die traditionellen Methoden zum Schutz ihres Besitztums ineffektiv geworden sind, so muss der Versuch, das Problem durch breitere und energischere Durchsetzung zu lösen unweigerlich die freie Meinungsäußerung bedrohen.
Die stärksten Einschränkungen ihrer zukünftigen Freiheiten könnte nicht von der Regierung sondern aus Rechtsabteilungen von Unternehmen kommen, die arbeiten um mit Gewalt das zu schützen, was nicht länger durch praktische Effizienz oder generellen sozialen Konsens geschützt werden kann.
Weiterhin, als Jefferson und seine Kreaturen aus „The Enlightenment“ das System entwarfen, das amerikanisches Copyright wurde, war ihr oberstes Ziel die weite Verbreitung von Gedanken, nicht Profit. Profit war der Treibstoff, der die Gedanken in die Bibliotheken und Geister ihrer neuen Republik tragen würde. Die Bibliotheken würden Bücher kaufen und damit die Autoren für ihre Arbeit der Zusammenstellung von Ideen entlohnen, die ansonsten unfähig der Beschränkung der Öffentlichkeit frei verfügbar würden. Aber was ist die Rolle der Bibliotheken, wenn es keine Bücher gibt? Wie bezahlt die Gesellschaft jetzt für die Versorgung mit Gedanken wenn nicht durch Berechnung für die Gedanken selbst?
Zusätzlich wird die Lage kompliziert durch die Tatsache, dass die digitale Technologie mit den physischen Flaschen, in denen der Schutz des intellektuellen Besitzes ruhte, auch die Rechtssprechung der physischen Welt auslöscht und sie durch die grenzenlosen und vielleicht permanent gesetzlosen Ozeanen des Cyberspace ersetzt.
Nicht nur sind im Cyberspace keine nationalen oder lokalen Grenzen vorhanden, die einen Tatort eingrenzen und die Methode der Bestrafung bestimmen, es gibt auch keine klaren kulturellen Übereinkünfte darüber, was ein Verbrechen sein könnte. Ungelöste und grundlegende Differenzen zwischen europäischen und asiatischen kulturellen Annahmen über intellektuellen Besitz können in einer Region, in der viele Transaktionen in beiden Hemisphären und doch irgendwie in keiner stattfinden, nur verschlimmert werden.
Sogar in den lokalsten der digitalen Umstände sind Rechtssprechung und Verantwortung schwierig anzusetzen. Eine Gruppe von Musikverlegern beantragte in diesem Herbst ein Verfahren gegen Compuserve wegen deren Erlaubnis an ihre User, musikalische Kompositionen in Bereiche hochzuladen wo andere User diese bekommen könnten. Aber da Compuserve in der Praxis wenig Kontrolle über die Flut von Bits, die zwischen den Teilnehmern fließt, ausüben kann, sollte die Firma wohl nicht für die unrechtmäßige „Veröffentlichung“ dieser Werke verantwortlich gemacht werden.
Vorstellungen von Besitz, Wert, Eigentum und die Natur des Reichtums selbst wandeln sich fundamentaler als jemals seit die Sumerer das erste Mal keilförmige Zeichen in nassen Ton/Lehm stießen und es vorrätiges Getreide nannten. Nur sehr wenige Menschen sind sich der Enormität dieses Wandels bewußt und noch weniger unter ihnen sind Anwälte oder öffentliche Amtsträger.
Diejenigen, die die Veränderung sehen, müssen Antworten für die rechtliche und soziale Konfusion vorbereiten, die ausbrechen wird, während Anstrengungen zum Schützen neuer Formen von Eigentum durch alte Methoden immer deutlicher stur und, in Konsequenz, sinnlos werden.
Von Schwertern zu Gesetzesrollen zu Bits
Die Menschheit scheint derzeit eine Vorliebe dafür zu haben, eine Weltwirtschaftsordnung zu errichten die primär auf Waren basiert, die keine materielle Form annehmen. Dadurch könnten wir jede vorhersagbare Verbindung zwischen Schöpfern und einer fairen Belohnung für den Zweck oder die Freude, die andere in ihren Werken finden, auslöschen.
Ohne diese Verbindung und ohne einen fundamentalen Wandel im Bewusstsein, um ihren Verlust auszugleichen, bauen wir unsere Zukunft auf Aufruhr, Rechtsstreite und institutionalisierte Vermeidung der Zahlung außer bei Anwendung roher Gewalt. Wir können zurückkehren zu den schlechten alten Tagen des Eigentums.
Während der dunkleren Zeiten der menschlichen Geschichte war Besitz und die Verteilung von Eigentum eine militärische Angelegenheit. „Eigentümerschaft“ war denjenigen mit den hässlichsten Werkzeugen vergönnt, ob Fäuste oder Armeen, und dem resolutesten Willen, sie zu nutzen. Eigentum war das göttliche Recht von Schlägern.
An der Wende des ersten Jahrtausends A.D. zwang das Aufkommen von Händlerklassen und Landbesitzern zur Entwicklung ethischen Verständnisses für die Lösung von Eigentumsstreitigkeiten. Im späten Mittelalter begannen erleuchtete Regenten wie Englands Henry II. dieses ungeschriebene „allgemeine Gesetz“ niedergeschriebenen Kanons zu kodifizieren. Diese Gesetze waren lokal, aber dies spielte keine große Rolle, da sie hauptsächlich auf Grundbesitz abzielten, eine Form des Besitzes, die durch ihre Definition lokal ist. Und die, wie der [englischsprachige] Name impliziert, sehr real war1.
Dies war weiterhin der Fall, solange die Herkunft des Reichtums die Landwirtschaft war, aber mit der Dämmerung der industriellen Revolution fing die Menschheit an, sich genau so auf Mittel wie auf Zwecke zu fokussieren. Werkzeuge erlangten einen neuen sozialen Wert, und dank ihrer eigenen Weiterentwicklung wurde es möglich, sie in Mengen zu duplizieren und zu verbreiten.
Um ihre Entwicklung zu fördern wurden in den meisten westlichen Ländern Urheberrechts- und Patentrechte entwickelt. Diese Gesetze waren der heiklen Aufgabe verschrieben, geistige Schöpfungen in die Welt zu entlassen, wo sie gebraucht werden konnten - und in den Geist anderer eintreten – während ihren Erfindern eine Kompensation für den Wert ihres Gebrauchs gesichert wurde. Und, wie zuvor erwähnt, sowohl die Systeme der Gesetze als auch der Praxis die um diese Aufgabe herum aufwuchsen basierten auf physikalischer Expression.
Da es nun möglich ist, Gedanken vom einen Geist zum anderen zu übermitteln, ohne sie jemals physisch zu machen, beanspruchen wir nun, die Gedanken selber zu besitzen, und nicht lediglich ihren Ausdruck. Und da es ebenso möglich ist, nützliche Werkzeuge zu erschaffen, die niemals physikalische Form annehmen, sind wir dazu übergegangen Abstraktionen, virtuelle Ereignisketten und mathematische Formeln zu patentieren – der unwirklichste Besitz, den man sich vorstellen kann.
In bestimmten Bereichen lässt dies die Eigentumsrechte in einem solch zweideutigen Zustand, dass Besitz wieder einmal denen, die die größten Armeen antreten lassen können, zufällt. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Armeen dieses Mal aus Rechtsanwälten bestehen.
Während sie ihren Gegnern mit dem endlosen Fegefeuer des Gerichtsprozesses drohen, demgegenüber einige den Tod selber vorziehen könnten, behaupten sie einen Anspruch auf jeden Gedanken der innerhalb des Kollektivs der Vereinigungen, für die sie arbeiten, in einen anderen Schädel gelangt sein könnte. Sie handeln, als ob diese Ideen in perfekter Trennung von allem vorherigen menschlichen Denken auftauchten. Und sie täuschen vor, dass über ein Produkt nachzudenken irgendwie genauso gut ist wie es herzustellen, es zu liefern und zu verkaufen.
Was vorher als allgemeine menschliche Ressource angesehen wurde, über Geister und Bibliotheken der Welt verbreitet, wird nun eingezäunt und in Besitz genommen. Es ist als ob eine neue Art von Unternehmen sich erhoben hätte, das für sich in Anspruch nähme, Luft und Wasser zu besitzen.
Was muss getan werden? Obwohl ein gewisser verbitterter Spaß darin besteht, wird ein Tanz auf dem Grab des Copyrights und des Patents wenige Probleme lösen, besonders wenn nur so wenige zugeben, dass der Bewohner dieses Grabes überhaupt tot ist und viele aufrechtzuerhalten versuchen, was nicht länger durch allgemeine Zustimmung aufrecht gehalten werden kann.
Alles, was Sie über geistiges Eigentum wissen, ist falsch.
von John Perry Barlow, veröffentlicht im Januar 1994.
Übersetzung Carsten Neubauer
Wenn die Natur irgendeine Sache weniger festlegbar als jedweden anderen exklusiven Besitz gemacht hat, so ist es die Handlung der denkenden Kraft, die Idee genannt wird, die ein Individuum exklusiv besitzen kann, so lange es sie für sich behält; jedoch im Moment ihrer Enthüllung zwingt sie sich in jedermanns Besitz, und der Empfänger kann sich ihrer nicht entledigen. Ihr besonderer Charakter ist außerdem, dass niemand weniger besitzt, da jeder sie als Ganzes besitzt. Derjenige, der eine Idee von mir empfängt, bekommt Information ohne meine zu mindern; genau wie jemand, der seine Fackel an meiner entzündet, Licht erhält ohne mich zu verdunkeln. Dass die Ideen sich frei vom einen zum anderen über den Globus verbreiten sollten, zur gegenseitigen und moralischen Unterrichtung des Menschen und der Verbesserung seines Zustands, scheint für Gedanken typisch und wohlwollend von der Natur so eingerichtet zu sein, da sie sie erschuf, wie Feuer, ausbreitungsfähig über den gesamten Raum, ohne ihre Dichte an irgendeinem Punkt zu verringern, und wie die Luft in der wir atmen, uns bewegen und unsere physische Existenz haben, jedweder Einschränkung oder exklusiven Inbesitznahme unfähig. Erfindungen können also nicht, von Natur aus, besessen werden.
-Thomas Jefferson
Während der gesamten Zeit, die ich im Cyberspace herumirrte, blieb ein tiefes Rätsel ungelöst, das die Wurzel jedes rechtlichen, ethischen, staatlichen und sozialen Ärgernisses in der virtuellen Welt zu sein scheint. Ich rede vom Problem des digitalisierten Besitzes.
Das Rätsel ist folgendes: Wenn unser Besitz unendlich reproduziert und sofort kostenlos über den ganzen Planeten verbreitet werden kann, ohne unser Wissen, ohne dass er überhaupt aufhört, unser Besitz zu sein, wie können wir ihn schützen? Wie werden wir bezahlt werden für die Arbeit, die unsere Gehirne leisten? Und, falls wir nicht bezahlt werden können, was wird die kontinuierliche Erschaffung und Verbreitung solcher Arbeiten sicherstellen?
Da wir keine Lösung für diese völlig neue Herausforderung haben und offensichtlich unfähig sind, die galloppierende Digitalisierung von allem, das nicht hartnäckig physisch ist, zu verzögern, segeln wir auf einem sinkenden Schiff in die Zukunft.
Dieses Schiff, der akkumulierte Kanon der Copyright- und Patentgesetze, wurde zum Tragen von Formen und Ausdrucksmethoden entwickelt, die sich komplett von der dunstigen Fracht, die es nun befördern soll, unterscheiden. Es ist von innen gleichermaßen wie von außen Leck geschlagen.
Rechtliche Versuche, das alte Boot am Sinken zu hindern, nehmen drei Formen an: Ein wildes Umstellen der Stühle an Deck, strenge Ermahnungen der Passagiere, dass kriminelle unter ihnen harte Strafen erwarten falls das Boot sinkt, sowie erhabenes, ausdrucksloses Dementieren.
Die Gesetzgebung zum intellektuellen Besitz kann genauso wenig geflickt, rückwirkend geändert oder erweitert werden um die Gase des digitalisierten Ausdrucks zu erfassen wie die Gesetze zum Grundeigentum überarbeitet werden könnten um die Zuweisung von Übertragungsfrequenzen zu regeln (Was tatsächlich eher dem entspricht, was hier versucht wird). Wir werden völlig neue Methoden entwickeln müssen, die diesen völlig neuen Umständen gerecht werden.
Die meisten Leute, die derzeit immaterielle Güter herstellen – die Programmierer, Hacker und Netzsurfer – wissen dies bereits. Unglücklicherweise haben weder die Firmen, für die sie arbeiten noch die Rechtsanwälte, die von diesen Firmen beauftragt werden, genügend direkte Erfahrung mit immateriellen Gütern um zu verstehen, warum diese so problematisch sind. Sie fahren fort als wären die alten Gesetze irgendwie wieder zum Funktionieren zu bekommen, entweder durch groteske Erweiterung oder mit Gewalt. Sie liegen falsch.
Der Ursprung dieses Rätsels ist so simpel wie seine Lösung komplex ist. Die digitale Technologie trennt Informationen von der physikalischen Ebene, auf der jedwedes Eigentumsrecht bisher immer seine Definition fand.
Die ganze Geschichte von Urheberrecht und Patenten hindurch waren die eigentumsrechtlichen Behauptungen der Denker nicht auf ihre Gedanken, sondern auf das Ausdrücken dieser Gedanken gerichtet. Die Gedanken selber wurden genau wie Fakten über die Phänomene der Welt als Kollektiveigentum der Menschheit angesehen. Im Fall des Copyrights konnte man auf den exakten Wortlaut, der einen bestimmten Gedanken transportiert oder die Reihenfolge, in der Fakten präsentiert werden Konzession verlangen.
Der Punkt an dem diese Konzession auferlegt wurde war der Moment in dem “das Wort Fleisch wurde”, indem es den Geist des Urhebers verläßt und in ein physikalisches Objekt, sei es ein Buch oder etwas anderes, eingeht. Das spätere Aufkommen anderer kommerzieller Medien änderte nichts an der rechtlichen Bedeutung dieses Moments. Das Gesetz schützte den Ausdruck und, mit einigen kürzlichen Ausnahmen, Ausdrücken bedeutete physisch machen.
Den physikalischen Ausdruck zu schützen hatte die Kraft der Praktikabilität auf seiner Seite. Das Copyright funktionierte gut, da es trotz Gutenberg schwierig war, ein Buch herzustellen. Außerdem froren Bücher ihren Inhalt in eine Form, die genau so schwierig zu verändern wie zu reproduzieren war. Das Fälschen oder die Verbreitung von gefälschten Exemplaren waren offensichtliche Aktivitäten, und jemanden bei einer solchen Aktivität zu erwischen war recht einfach. Schließlich hatten Bücher im Unterschied zu unbegrenzten Wörtern und Bildern materielle Oberflächen, auf denen sich Copyright-Notizen, Zeichen des Verlegers und Preisschilder anbringen ließen.
Die Konvertierung von Mentalem zu Physischem war noch zentraler für das Patent. Ein Patent war bis vor kurzem entweder eine Beschreibung der Form, in die bestimmte Materialien gebracht werden mussten um einem bestimmten Zweck zu dienen oder eine Beschreibung des Prozesses der Umformung. In beiden Fällen war das konzeptionelle Herz des Patents das materielle Resultat. Wenn durch materielle Beschränkung kein Zweck erfüllendes Objekt hergestellt werden konnte, wurde das Patent abgelehnt. Weder eine Kleinsche Flasche noch eine Schaufel aus Seide konnte patentiert werden. Es musste dinglich sein, und das Ding musste funktionieren.
Die Gesetze zur Erfindung und Autorschaft hielten sich also an Aktivitäten in der physischen Welt. Man wurde nicht für seine Ideen bezahlt, sondern für die Fähigkeit, sie in die Realität zu überführen. Für alle praktischen Zwecke war der Wert in der Beschreibung und nicht in der beschriebenen Idee.
In anderen Worten: Die Flasche war geschützt, nicht der Wein.
Jetzt, wo die Information in den Cyberspace eintritt, die Heimat des Geistes, verschwinden diese Flaschen. Mit dem Kommen der Digitalisierung ist es nun möglich, alle vorherigen Informationsaufbewahrungsverfahren durch eine meta-Flasche zu ersetzen: Komplexe – und höchst flüssige – Muster von Einsen und Nullen.
Selbst die physisch-/digitalen Flaschen an die wir uns gewöhnt haben, Floppy Disks, CD-ROMs und andere verschiedene, einschweißbare Bit-Pakete werden verschwinden, wenn alle Computer sich im globalen Netz zusammenschließen. Obwohl das Internet niemals jeden einzelnen CPU des Planeten enthalten wird, vergrößert es sich jedes Jahr um mehr als das Doppelte und könnte die Erwartung erfüllen, das wichtigste Medium zur Informationsübertragung der Zukunft zu werden, wenn nicht das einzige.
Sobald das passiert ist, werden sämtliche Güter des Informationszeitalters – all das, was einst in Büchern, Filmen, Schallplatten oder Zeitungen ausgedrückt wurde – nur noch als pure Gedanken oder etwas dem sehr ähnlichen existieren: Spannungszustände die mit Lichtgeschwindigkeit durch das Netz schießen, Zustände deren Effekt man als glühende Pixel oder übertragene Klänge beobachten kann, die man aber niemals berühren oder im alten Sinn des Wortes „besitzen“ kann.
Einige werden behaupten, dass Informationen immer noch eine physische Manifestation brauchen werden, wie ihre magnetische Existenz auf den titanischen Festplatten entfernter Server, aber diese sind Flaschen die keine makroskopisch unterscheidbare oder persönlich bedeutungsvolle Form haben.
Einige werden weiterhin behaupten, dass wir seit dem Kommen des Radios mit flaschenloser Expression umgehen, und sie hätten recht. Aber während der längsten Zeit der Geschichte der Rundfunkübertragung gab es keinen geeigneten Weg, um virtuelle Güter aus dem elektromagnetischen Äther aufzufangen und in der Qualität von kommerziellen Veröffentlichungen zu reproduzieren. Erst kürzlich hat sich dies geändert, und wenig wurde auf rechtlichem oder technischem Weg getan, um dem Wandel zu begegnen.
Generell war das Thema der Gebühren für Konsumenten auf Rundfunkprodukte irrelevant. Die Konsumenten waren selber das Produkt. Die Rundfunkmedien wurden unterstützt entweder durch das Verkaufen der Aufmerksamkeit ihres Publikums an Werbekunden, indem sie Zahlungen von der Regierung durch Steuern festlegen ließen, oder weinerliches Betteln an jährlichen Spendenkampagnen.
Alle Modelle zur Unterstützung des Rundfunks sind unzureichend. Die Unterstützung durch Werbekunden oder die Regierung hat fast immer die Reinheit der gelieferten Waren befleckt. Übrigens löst das Direktmarketing sowieso allmählich das Werbekunden-Unterstützungs-Modell ab.
Die Rundfunkmedien gaben uns eine andere Methode der Zahlung mit den Tantiemen, die Rundfunksender den Songschreibern über Organisationen wie die ASCAP oder BMI zahlen. Als ein Mitgleid der ASCAP kann ich ihnen jedoch versichern, dass dies kein Modell ist, dem wir nacheifern sollten. Die Überwachungsmethoden sind sehr ungefähr. Es gibt kein paralleles Abrechnungssystem im Einkommensstrom. Es funktioniert nicht wirklich. Ehrlich.
Ohne unsere alten Methoden der physischen Bestimmung des Ausdrucks von Gedanken und in Abwesenheit von erfolgreichen neuen Modellen für nicht-physische Transaktionen wissen wir auf jeden Fall einfach nicht, wie verlässliche Zahlungen für geistige Arbeit zu sichern sind. Um alles noch schlimmer zu machen kommt dies zu einer Zeit, in der der menschliche Geist Sonnenlicht und Mineralvorkommen als die hauptsächliche Quelle neuen Reichtums ablöst.
Weiterhin bringt die immer schwieriger werdende Durchsetzung der bestehenden Copyright- und Patentgesetze bereits die ultimative Quelle intellektuellen Eigentums, den freien Austausch von Ideen, in Gefahr.
Wenn also die primären Artikel des Kommerzes in einer Gesellschaft so sehr nach Sprache aussehen, dass sie von ihr ununterscheidbar sind, und wenn die traditionellen Methoden zum Schutz ihres Besitztums ineffektiv geworden sind, so muss der Versuch, das Problem durch breitere und energischere Durchsetzung zu lösen unweigerlich die freie Meinungsäußerung bedrohen.
Die stärksten Einschränkungen ihrer zukünftigen Freiheiten könnte nicht von der Regierung sondern aus Rechtsabteilungen von Unternehmen kommen, die arbeiten um mit Gewalt das zu schützen, was nicht länger durch praktische Effizienz oder generellen sozialen Konsens geschützt werden kann.
Weiterhin, als Jefferson und seine Kreaturen aus „The Enlightenment“ das System entwarfen, das amerikanisches Copyright wurde, war ihr oberstes Ziel die weite Verbreitung von Gedanken, nicht Profit. Profit war der Treibstoff, der die Gedanken in die Bibliotheken und Geister ihrer neuen Republik tragen würde. Die Bibliotheken würden Bücher kaufen und damit die Autoren für ihre Arbeit der Zusammenstellung von Ideen entlohnen, die ansonsten unfähig der Beschränkung der Öffentlichkeit frei verfügbar würden. Aber was ist die Rolle der Bibliotheken, wenn es keine Bücher gibt? Wie bezahlt die Gesellschaft jetzt für die Versorgung mit Gedanken wenn nicht durch Berechnung für die Gedanken selbst?
Zusätzlich wird die Lage kompliziert durch die Tatsache, dass die digitale Technologie mit den physischen Flaschen, in denen der Schutz des intellektuellen Besitzes ruhte, auch die Rechtssprechung der physischen Welt auslöscht und sie durch die grenzenlosen und vielleicht permanent gesetzlosen Ozeanen des Cyberspace ersetzt.
Nicht nur sind im Cyberspace keine nationalen oder lokalen Grenzen vorhanden, die einen Tatort eingrenzen und die Methode der Bestrafung bestimmen, es gibt auch keine klaren kulturellen Übereinkünfte darüber, was ein Verbrechen sein könnte. Ungelöste und grundlegende Differenzen zwischen europäischen und asiatischen kulturellen Annahmen über intellektuellen Besitz können in einer Region, in der viele Transaktionen in beiden Hemisphären und doch irgendwie in keiner stattfinden, nur verschlimmert werden.
Sogar in den lokalsten der digitalen Umstände sind Rechtssprechung und Verantwortung schwierig anzusetzen. Eine Gruppe von Musikverlegern beantragte in diesem Herbst ein Verfahren gegen Compuserve wegen deren Erlaubnis an ihre User, musikalische Kompositionen in Bereiche hochzuladen wo andere User diese bekommen könnten. Aber da Compuserve in der Praxis wenig Kontrolle über die Flut von Bits, die zwischen den Teilnehmern fließt, ausüben kann, sollte die Firma wohl nicht für die unrechtmäßige „Veröffentlichung“ dieser Werke verantwortlich gemacht werden.
Vorstellungen von Besitz, Wert, Eigentum und die Natur des Reichtums selbst wandeln sich fundamentaler als jemals seit die Sumerer das erste Mal keilförmige Zeichen in nassen Ton/Lehm stießen und es vorrätiges Getreide nannten. Nur sehr wenige Menschen sind sich der Enormität dieses Wandels bewußt und noch weniger unter ihnen sind Anwälte oder öffentliche Amtsträger.
Diejenigen, die die Veränderung sehen, müssen Antworten für die rechtliche und soziale Konfusion vorbereiten, die ausbrechen wird, während Anstrengungen zum Schützen neuer Formen von Eigentum durch alte Methoden immer deutlicher stur und, in Konsequenz, sinnlos werden.
Von Schwertern zu Gesetzesrollen zu Bits
Die Menschheit scheint derzeit eine Vorliebe dafür zu haben, eine Weltwirtschaftsordnung zu errichten die primär auf Waren basiert, die keine materielle Form annehmen. Dadurch könnten wir jede vorhersagbare Verbindung zwischen Schöpfern und einer fairen Belohnung für den Zweck oder die Freude, die andere in ihren Werken finden, auslöschen.
Ohne diese Verbindung und ohne einen fundamentalen Wandel im Bewusstsein, um ihren Verlust auszugleichen, bauen wir unsere Zukunft auf Aufruhr, Rechtsstreite und institutionalisierte Vermeidung der Zahlung außer bei Anwendung roher Gewalt. Wir können zurückkehren zu den schlechten alten Tagen des Eigentums.
Während der dunkleren Zeiten der menschlichen Geschichte war Besitz und die Verteilung von Eigentum eine militärische Angelegenheit. „Eigentümerschaft“ war denjenigen mit den hässlichsten Werkzeugen vergönnt, ob Fäuste oder Armeen, und dem resolutesten Willen, sie zu nutzen. Eigentum war das göttliche Recht von Schlägern.
An der Wende des ersten Jahrtausends A.D. zwang das Aufkommen von Händlerklassen und Landbesitzern zur Entwicklung ethischen Verständnisses für die Lösung von Eigentumsstreitigkeiten. Im späten Mittelalter begannen erleuchtete Regenten wie Englands Henry II. dieses ungeschriebene „allgemeine Gesetz“ niedergeschriebenen Kanons zu kodifizieren. Diese Gesetze waren lokal, aber dies spielte keine große Rolle, da sie hauptsächlich auf Grundbesitz abzielten, eine Form des Besitzes, die durch ihre Definition lokal ist. Und die, wie der [englischsprachige] Name impliziert, sehr real war1.
Dies war weiterhin der Fall, solange die Herkunft des Reichtums die Landwirtschaft war, aber mit der Dämmerung der industriellen Revolution fing die Menschheit an, sich genau so auf Mittel wie auf Zwecke zu fokussieren. Werkzeuge erlangten einen neuen sozialen Wert, und dank ihrer eigenen Weiterentwicklung wurde es möglich, sie in Mengen zu duplizieren und zu verbreiten.
Um ihre Entwicklung zu fördern wurden in den meisten westlichen Ländern Urheberrechts- und Patentrechte entwickelt. Diese Gesetze waren der heiklen Aufgabe verschrieben, geistige Schöpfungen in die Welt zu entlassen, wo sie gebraucht werden konnten - und in den Geist anderer eintreten – während ihren Erfindern eine Kompensation für den Wert ihres Gebrauchs gesichert wurde. Und, wie zuvor erwähnt, sowohl die Systeme der Gesetze als auch der Praxis die um diese Aufgabe herum aufwuchsen basierten auf physikalischer Expression.
Da es nun möglich ist, Gedanken vom einen Geist zum anderen zu übermitteln, ohne sie jemals physisch zu machen, beanspruchen wir nun, die Gedanken selber zu besitzen, und nicht lediglich ihren Ausdruck. Und da es ebenso möglich ist, nützliche Werkzeuge zu erschaffen, die niemals physikalische Form annehmen, sind wir dazu übergegangen Abstraktionen, virtuelle Ereignisketten und mathematische Formeln zu patentieren – der unwirklichste Besitz, den man sich vorstellen kann.
In bestimmten Bereichen lässt dies die Eigentumsrechte in einem solch zweideutigen Zustand, dass Besitz wieder einmal denen, die die größten Armeen antreten lassen können, zufällt. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Armeen dieses Mal aus Rechtsanwälten bestehen.
Während sie ihren Gegnern mit dem endlosen Fegefeuer des Gerichtsprozesses drohen, demgegenüber einige den Tod selber vorziehen könnten, behaupten sie einen Anspruch auf jeden Gedanken der innerhalb des Kollektivs der Vereinigungen, für die sie arbeiten, in einen anderen Schädel gelangt sein könnte. Sie handeln, als ob diese Ideen in perfekter Trennung von allem vorherigen menschlichen Denken auftauchten. Und sie täuschen vor, dass über ein Produkt nachzudenken irgendwie genauso gut ist wie es herzustellen, es zu liefern und zu verkaufen.
Was vorher als allgemeine menschliche Ressource angesehen wurde, über Geister und Bibliotheken der Welt verbreitet, wird nun eingezäunt und in Besitz genommen. Es ist als ob eine neue Art von Unternehmen sich erhoben hätte, das für sich in Anspruch nähme, Luft und Wasser zu besitzen.
Was muss getan werden? Obwohl ein gewisser verbitterter Spaß darin besteht, wird ein Tanz auf dem Grab des Copyrights und des Patents wenige Probleme lösen, besonders wenn nur so wenige zugeben, dass der Bewohner dieses Grabes überhaupt tot ist und viele aufrechtzuerhalten versuchen, was nicht länger durch allgemeine Zustimmung aufrecht gehalten werden kann.
Freitag, 30. Oktober 2020
Why DMCA? Global village, people!
Interview 22-1-2003 mit John Perry Barlow
John Perry Barlow ist Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation (EFF) und Fellow am
Berkman Center for Internet and Society der Harvard Law School. Außerdem war er Texter der
Gruppe Grateful Dead.
politik-digital: 1998 unterschrieb Bill Clinton den Digital Millennium Copyright Act (DMCA),
gemäß den WIPO (World Intellectual Property Organization) -Verträgen. Wo liegen Ihrer
Meinung nach die größten Fehler des DMCA, die größten Verletzungen von Freiheiten der
Bürger?
John Perry Barlow: Der größte Fehler des DMCA ist, dass die Verknüpfung von Gesetzgebung und
technischem Fortschritt dort zu einer Monopolbildung führt, wo man gerade kein Monopol haben will – im
demokratischen Prozess. Für den demokratischen Prozess ist es unverzichtbar, dass verschiedene
Sichtweisen dargestellt werden können und eine einfache und offene Kommunikation möglich ist. Doch ein
Gesetz wie DMCA bringt die großen Medienunternehmen in den Besitz alles Gedachten und Gesagten –
und das betrifft auch jene Ideen, die schon längst frei zugänglich und nicht urheberrechtlich geschützt sind.
So wird eine faire Nutzung von Ideen und Informationen drastisch eingeschränkt, vor allem weil das
Copyright auf Bereiche angewandt wird, für die es nicht vorgesehen war. IBM benutzt z.B. das Gesetz, um
den Gebrauch und den Absatz ihrer Druckerpatronen zu schützen. Wenn jemand die Druckerpatronen von
IBM nachbaut, macht er sich strafbar [Es dürfen also nur IBM-Patronen in die IBM-Drucker, Anm. d. Ü.]. Und
das ist nur eines von vielen Beispielen. Das andere Problem des Gesetzes ist der Versuch, die Infrastruktur
von Computern und Internet neu zu definieren.
politik-digital: Es gab schon vor DMCA Copyright-Gesetze. Worin unterscheidet sich der DMCA von seinen
Vorgängern?
John Perry Barlow: Durch den DMCA werden Behälter ermöglicht, die man nicht legal öffnen kann.
Gleichzeitig kann man Inhalte in diese Behälter bringen, die eigentlich schon im öffentlichen Raum stehen –
eine Art plötzliche Privatisierung, die einen beträchtlichen Flankenschutz vom Gesetzgeber erhält. Erscheint
beispielsweise Alice im Wunderland als elektronisches Buch – der Urheberschutz von Alice im Wunderland
ist ja schon lange abgelaufen – und jemand will sich das Buch, dann muss er den Kopierschutz brechen. Hat
man ein Tool, um den Kopierschutz zu brechen, dann landet man im Gefängnis wie der russische
Programmierer, der in den Vereinigten Staaten inhaftiert wurde.
politik-digital: Das Ganze erinnert ein bisschen an die Debatte über Verschlüsselung vor einigen Jahren.
Da versuchte der Staat auch, Einschränkungen von Kryptographie vorzunehmen, in dem technische
Schranken gegen die Verbreitung starker Verschlüsselungsverfahren eingeführt werden sollten. Im Endeffekt
konnten die staatlichen Akteure ihre Position aber nur sehr begrenzt durchsetzen, oder?
John Perry Barlow: Das erinnert mich ganz stark an die Debatte über Verschlüsselung, an der ich ja aktiv
beteiligt war. Aber was die Copyright-Gesetze angeht, bin ich nicht halb so optimistisch. Denn in der
Auseinandersetzung um die Verschlüsselung waren wir in der Lage zu zeigen, dass die Beschränkung der
Verschlüsselung-Algorithmen ein direkter Eingriff in das Recht auf Redefreiheit war. Die Einschränkungen
waren verfassungswidrig. Was den DMCA betrifft, scheinen sich die Richter entschieden zu haben, die
Verfassung zu ignorieren. Bei allem, was wir vor Gericht gegen den DMCA vorgebracht haben, hat das
Gericht die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht einmal in Betracht gezogen.
Das ist ziemlich offensichtlich: Wir hatten z.B. einen Fall, wo der Beklagte auf seiner Website Links zu
DeCSS gesetzt hatte, den Entschlüsselungscode für DVDs. Es waren nur Links! Er wurde verurteilt, gegen
den DMCA verstoßen zu haben, für etwas, dass ich klar und deutlich Ausübung der Redefreiheit nennen
würde.
politik-digital: Bei der Frage um Verschlüsselung spielte die American Civil Liberties Union (ACLU) einen
wichtige Rolle. Gibt es eine Zusammenarbeit mit der ACLU gegen den DMCA?
John Perry Barlow: Die ACLU beschäftigt sich nur äußerst widerwillig und langsam mit diesem Thema.
Denn sie wissen, dass sie damit ihre traditionelle Basis gegen sich aufbringen, die Unterhaltungsindustrie.
Ich habe einmal einen Preis von ACLU bekommen und es gab ein großes, festliches Hollywood-Dinner. Als
ich den Preis entgegen nahm, wurde ich fast von der Bühne gebuht. Ich habe ihnen nämlich gesagt, dass sie
– wenn ihnen wirklich etwas an der Redefreiheit liegen würde – sich noch einmal über das Copyright
Gedanken machen müssten. Die Unterhaltungsindustrie ist immer so lange für die Redefreiheit, wie es ihren
Geschäften nützt.
politik-digital: In den USA ist der Teil der DMCA, der am meisten in der Kritik steht, in Überarbeitung, der
Abschnitt 1201. Glauben Sie, dass die Fehler, die Sie gerade angesprochen haben, behoben werden
können?
John Perry Barlow: Ich weiß es nicht. Der Kongressabgeordnete Rick Boucher hat gerade eine
Gesetzesvorlage eingebracht, die den Verbraucherschutz in Bezug auf den DMCA wieder herstellen will.
Allerdings weiß ich nicht, ob der Entwurf verabschiedet wird oder nicht.
In der Zwischenzeit greift die Unterhaltungsindustrie hart durch und schafft neue technische
Beschränkungen gegen die Redefreiheit und die Verbreitung von Informationen. Besonders beängstigend
ist, dass Intel, Microsoft und einige Chiphersteller jetzt mit dem Model des „trusted computing“ aus der
Deckung kommen, was soviel heißen soll, dass du deinem Computer trauen kannst. Es bedeutet aber nichts
anderes, als dass Microsoft deinem Computer trauen kann und Hollywood deinem Computer trauen kann.
Da findet Digital Rights Management (DRM) direkt in der Hardware und dem Betriebssystem statt!
politik-digital: Wie sollten denn Digital Rights gesichert werden? Songwriter, Autoren und Sänger haben
doch schließlich auch ein berechtigtes Interesse an Kopierschutz.
John Perry Barlow: Ich bin ja selbst Songwriter. Das derzeitige System hat doch riesige Tücken und Fehler.
Heute werden einem professionellen Durchschnittsmusiker für Urheberrechte weniger als sechshundert
Dollar pro Jahr gezahlt. Den Rest behalten die Musikkonzerne. Es ist also ein Trugschluss, dass dieses
Gesetz die Rechte der Texter und Musiker schützt.
Meiner Meinung nach ist es in unserem Interesse, dass unsere Arbeit verbreitet wird. Für Musik und andere
immaterielle Produkte im Allgemeinen gelten meiner Meinung nach auch andere Regeln als für materielle
Produkte. Bei materiellen Produkten gibt es einen Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit (Knappheit) und
Wert: ein knappes Gut ist teurer. Bei Musik und Gedanken gibt es aber einen Zusammenhang zwischen
Vertrautheit und Wert.
Das zeigt meine persönliche Erfahrung mit den Grateful Dead ganz deutlich. Wir haben unsere Arbeit auch
kostenlos zugänglich gemacht, als wir anfingen, erfolgreich zu sein. Und interessanterweise verkauften sich
alle unsere CDs äußerst gut, gerade weil wir Mitschnitte von unseren Konzerten erlaubten und frei
zugänglich machten.
Was wir vor allem im Auge behalten müssen, sind die Rechte der Songwriter und Autoren, und nicht die der
großen Institutionen. Denn die sind nur daran interessiert, die digitale Verbreitung abzuwürgen.
politik-digital: Aber ist das nicht eher ein moralisches Problem?
John Perry Barlow: Es ist auch ein wirtschaftliches Problem. Philosophisch müssen wir den Begriff
„geistiges Eigentum“ komplett neu überdenken, obwohl es ein noch junger Begriff ist. Vor vierzig Jahren gab
es so etwas noch nicht. Bei der Einführung des Rechts auf und den Schutz des „geistigen Eigentums“
handelte es sich zunächst um einen Schutz der Idee für eine bestimmte, und zwar relativ begrenzte Zeit.
Aber auch schon damals hat man geistiges Eigentum nicht wirklich besessen und ich halte es für irreführend
zu glauben, dass man es jetzt besitzt. Das wäre, als würde man Freundschaften besitzen.
Es sind Dienstleistungen, und keine Produkte. Also müssen wir sie auch wie Dienstleistungen behandeln,
denn man kann – wie schon gesagt – immaterielle Güter nicht als Produkte definieren. Tut man das aber, so
führt das dazu, dass die Leute Tauschbörsen im Netz als ebenso kriminell ansehen wie den Ladendiebstahl.
Da gibt es aber einen großen Unterschied. Wenn du in einen Laden gehst und ein Kleidungsstück klaust, ist
es weg. Die Ware und ihr wirtschaftlicher Wert ist für das Geschäft verloren. Wenn du im Netz einen meiner
Songs runterlädst, habe ich ihn immer noch. Er wird sogar wertvoller, wenn ihn mehr Leute haben.
Wir müssen also die wirtschaftlichen Regeln überdenken. Der bestehende Kopierschutz ist völlig
ausreichend, so lange es das geistige Eigentum schützt, in dem es nur die Container, die Behälter des
geistigen Eigentums, reguliert. Wenn es aber das reguliert, was die Wirtschaft Content nennt, ist das ein
falsches Model. Denn Content hat keinen Container. Also müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.
politik-digital: Nehmen wir einen Verleger, der ein Buch druckt – das Buch ist hierbei der regulierte
Container – und es später elektronisch zugänglich macht, sagen wir als pdf oder ebook. Welches Interesse
hätte ein Verleger einen Autor zu veröffentlichen. Oder brauchen wir bald keine Verleger mehr?
John Perry Barlow: Vielleicht werden die Verleger überflüssig. Ich glaube aber sie werden es nicht, denn
momentan werden mehr Bücher verkauft als je zuvor. Und noch einmal, ich glaube, es gibt eine Symbiose
zwischen dem Verkauf von diesen Containern und der Online-Verfügbarkeit ihres Inhalts. Nehmen wir die
Filmindustrie. Ich kann jeden Film bekommen bevor er angelaufen ist und dennoch: Die Filmindustrie macht
mehr Umsatz als je zuvor. Ich kann jede DVD umsonst bekommen, aber der DVD-Verkauf steigt weiter.
Wieso? Ich denke, es gibt Interesse der Verleger, weiterhin Bücher in physischer Form zu veröffentlichen
und sie dann online zugänglich zu machen. Denn ich glaube, niemand will ein Buch auf dem Computer
lesen. Ich zumindest nicht!
politik-digital: Und wenn sich elektronisches Papier durchsetzt...
John Perry Barlow: Lassen Sie uns über elektronisches Papier sprechen, wenn es wirklich auf dem Markt ist.
Lassen Sie uns über Probleme sprechen, wenn sie sich abzeichnen, denn wir wissen nicht, ob alle
Vorhersagen eintreffen. Viele Einschätzungen über den Einfluss des Internets haben sich als falsch
herausgestellt.
politik-digital: Sie sagen also, der DMCA oder das deutsche Gesetz, sind auf eine völlig digitalisierte Welt
zugeschnitten, eine Welt in der die Computer Bücher und Theater ersetzen?
John Perry Barlow: Genau, aber so eine Welt existiert noch nicht und wird vielleicht niemals existieren. Und
wenn man die gesamte Architektur des Informationssystems auf eine Situation zuschneidet, die vielleicht nie
eintreten wird, ist das unmoralisch. Wir müssen als Gesellschaft für Experimente offen sein und so das
effizienteste Geschäftsmodell finden. Die European Union Copyright Directive (EUCD) macht genau das
Gegenteil. Sie verbaut die Möglichkeit für Experimente und spielt damit wenigen großen
Medienunternehmen in die Hände. Diese Unternehmen haben die Direktive in der EU durchgedrückt und
drücken jetzt sie in Deutschland, Frankreich und den anderen Mitgliedstaaten durch.
politik-digital: Sie engagieren sich vor allem global. Die DMCA und das deutsche Gesetz setzen die
internationalen WIPO-Verträge um...
John Perry Barlow: Aber die WIPO-Verträge wurden von der Unterhaltungsindustrie in Hollywood diktiert...
politik-digital: Sind die Nationalstaaten dann nicht der falsche Ansprechpartner? Die nationalen
Gesetzgeber behaupten, die WIPO-Verträge und die EUCD ließen keinen Spielraum: „Es gibt diese Verträge
und wir müssen sie in nationales Recht umsetzen...“
John Perry Barlow: Dass die Entscheidungen in den großen Institutionen wie WIPO und EUCD gefällt
werden, ist ein Problem. Bisher habe ich noch niemand kennen gelernt, der für WIPO arbeitet und vorher
nicht in der Medienindustrie oder dem Lizenzierungsgeschäft tätig war. WIPO und Medienindustrie sind ein
und das selbe. Die Öffentlichkeit hat keine vernünftige Möglichkeit, diesen Prozess zu beeinflussen.
politik-digital: Sehen Sie hier einen Wandel? Die Diskussionen um eDemokratie fand in den neunziger
Jahren immer auch auf globaler Ebene statt. Auch die Electronic Frontier Foundation (EFF) operiert global
und erreicht mit relativ wenig Leuten ziemlich viel. Ist es unmöglich mit Bertelsmann und AOL Time-Warner
zu konkurrieren?
John Perry Barlow: Für eine so kleine Organisation wie die EFF, die sich mit der gesamten Industrie
angelegt hat, schlagen wir uns sehr erfolgreich. Wir gewinnen öfter als wir verlieren.
Aber auf dem Level der EU ist es sehr schwierig, Einfluss auszuüben. Die einzige Möglichkeit für die
Öffentlichkeit wieder in diesen Prozess einzutreten, ist die nationalstaatliche Ebene. Ich kann mir nicht
vorstellen, die nötigen Ressourcen aus europäischer Ebene zu sammeln, die die EUCD in Brüssel hätten
verhindern können. Aber ich kann mir so eine Koalition in Deutschland vorstellen oder in Frankreich. Und
genau das versuchen wir.
politik-digital: Nehmen wir an, es gäbe keinen DMCA. Microsoft könnte immer noch technische
Beschränkungen in die Software bauen wie etwa die Registrierung von Windows oder die Benachteiligung
von Programmen von Drittanbietern. Können Marktkräfte dieses Problem lösen?
John Perry Barlow: Es gab eine Zeit, da war jede Software kopiergeschützt, und es gab Firmen, die ganz
legal Codes produziert haben, mit denen man den Kopierschutz knacken konnte. Die Firmen haben alle
Codes geknackt und letztlich hat die Software-Industrie verstanden, dass die Leute keinen Kopierschutz
wollen. Die Industrie hat das akzeptiert, denn trotz der Software-Piraterie verkauften sich die Programme
sehr gut. Würde heute so etwas passieren, würde der Verkäufer von solchen Codes angeklagt. Das ist aber
schlecht für den Wettbewerb und die technische Entwicklung.
politik-digital: Was ist ihr Ratschlag an die deutschen Gesetzgeber?
John Perry Barlow: Der deutsche Gesetzgeber sollte sich fragen, ob der wirtschaftliche Schaden so groß ist,
dass es sich lohnt, solche riskanten Langzeit-Effekte in Kauf zu nehmen. Ich glaube nicht, dass eine
Demokratie funktioniert, wenn eine kleine Interessengruppe alle Informationen besitzt. Wie Mussolini sagte:
„Faschismus sollte Korporatismus heißen, weil es die effektive Vermischung von Kapitalgesellschaft und
Staat ist.“
politik-digital: In Deutschland konzentriert sich die Diskussion auf das Thema „Privatkopie“. Trifft es die
privaten Nutzer am Stärksten?
John Perry Barlow: Wir wollen digitale Informationen effektiv nutzen und
wir müssen in der Lage sein, uns zwischen verschiedenen Umgebungen zu bewegen. Wie viele Computer
haben Sie gehabt? Nach 18 Monaten ist ein Computer veraltet. Wenn nur eine Kopie erlaubt ist, muss man
sich beim nächsten Computer alles neu kaufen. Das ist eine sehr große wirtschaftliche Belastung für alle
Computernutzer zugunsten einer kleinen Anzahl Herstellern.
Außerdem ist das Teilen und Tauschen für Menschen die natürlichste Sache der Welt. Das ist fundamental
für menschliches Verhalten, den wir bereichern den Geist, indem wir kreative Arbeit teilen. Nur so blüht
Kreativität. Ich meine, es gibt viele Gründe dafür, dieses Gesetz zu verhindern.
politik-digital: Gab es Fälle in den USA, in denen User, die eine Privatkopie gemacht haben, vor Gericht
gestellt wurden?
John Perry Barlow: Bis jetzt noch nicht. Bisher wurde der DMCA auf CDs und Software mit Kopierschutz
angewandt. Die Musik und Bücher waren lange nicht kopiergeschützt. Das hat erst jetzt angefangen und so
langsam bekommen die Menschen den wahren Druck des DMCA zu spüren. Anfangs konnte der
Kopierschutz konnte mit einem einfachen Filzstift umgangen werden.
politik-digital: Aber ist das nicht die Lösung: Kopierschutz kann größtenteils technisch umgangen werden,
indem man den Kopierschutz mir Software oder einem Extra-Chip umgeht? Man kann doch schon jetzt
Mikrochips kaufen und damit seine Playstation modifizieren und kopierte Spiele und DVDs abspielen. Wäre
das die richtige Antwort auf ein falsches Gesetz?
John Perry Barlow: Ich halte es für eine sehr schlechte Idee, Gesetze zu verabschieden, die dann von der
Gesellschaft ignoriert werden. Daraus ergibt sich nur eine generelle Ablehnung des Rechtssystems. Und
meiner Meinung nach hat die Gesellschaft schon gezeigt was sie von Kopierschutz hält.
politik-digital: Und die technische Lösung, die wir gerade angesprochen haben, bevorzugt diejenigen, die
wissen, wo man solche Chips und Cracks bekommt.
John Perry Barlow: Das Gesetz benachteiligt die Alten und technisch Ahnungslosen und begünstigt die
Jungen und technisch Bewanderten. Das sieht nicht aus wie eine gerechte Sache.
politik-digital: Es kommt zu einer neuen digitalen Spaltung...
John Perry Barlow: Ja, eine neue digitale Spaltung, die bisher größte Spaltung zwischen jung und alt, die
ich kenne. Ich würde es sogar noch drastischer ausdrücken. Wir sollten uns nicht in der Hoffnung
zurücklehnen, dass Anarchie wird das Problem schon lösen wird. Ich glaube nicht, dass Anarchie eine gute
Lösung für irgend etwas ist.
politik-digital: Muss die Antwort auf technische Beschränkung nicht eine technische Antwort sein?
John Perry Barlow: Das wäre der Idealfall. Doch hier liegt das Problem von DMCA und EUCD. Gesetz und
Technologie entfalten gemeinsam eine ungeheure Macht.
politik-digital: Denken Sie an Lawrence Lessig’s „Code-is-law“, wo das Medium „Recht“ neben Infrastruktur
und Marktkräften nur eines Regulierungsmitteln ist. Spielt „Recht“ wirklich noch eine so wichtige Rolle?
John Perry Barlow: Als Larry diese Zeile geschrieben hat, war ich anderer Meinung, weil ich viel
misstrauischer gegenüber Regierungen und Gesetzen bin als er. Aber ich war bereit zu glauben, dass wir
das Medium „Recht“ brauchen, um das übereifrige Verhalten der Protektionisten zu korrigieren. Allerdings
wurde „Recht“ dann zum Verbündeten der Protektionisten. Larrys Vorschlag wollte den technischen Zwang
auflösen, hat ihn am Ende aber vergrößert. Es tut mir Leid, dass die Dinge mit Unterstützung des Rechts
schlimmer geworden sind.
Auch in Deutschland wird sich die Lage mit diesem Gesetz verschlechtern. Aber es ist furchtbar schwierig,
öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zu bekommen. Wenn du in einem Gespräch, das sich bis dato
mit Fußball beschäftigt hat, anfängst über digitale Reche zu sprechen, wirst du kein beliebter Kerl.
politik-digital: War die EFF in der Global Internet Liberty Campaign (GILC)?
John Perry Barlow: Ja und sie ist es immer noch. Aber auch für eine Organisation wie die UN, die viel Geld
von den Nationalstaaten bekommt, ist es schwierig eine globale Kampagne zu führen. Die einzigen globalen
Kampagnen, die funktionieren, sind die von McDonalds und Nike.
politik-digital: Setzen Sie Hoffnungen in die World Summit of Information Society (WSIS)?
John Perry Barlow: Nein, nicht wirklich. Ich kann mich irren, aber es sieht eher so aus, als ob das Ganze
von den üblichen Verdächtigen auf die Beine gestellt worden ist. Das ist eine Veranstaltung der
Medienunternehmen.
politik-digital: Und der Gipfel findet in der International Telecommunications Union (ITU) statt und das ist
Big Business...
John Perry Barlow: Ja, die PTTs (Post, Telegrafen- und Telekomunikationsunternehmen, Anm. d. R.) sind
dabei, und die sind einer Meinung mit den Medienunternehmen. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber für
gewöhnlich sind ihre Interessen die selben.
Das aggressive Verhalten der Medienriesen stimmt mich aber auch optimistisch. Es erinnert mich an die
letzten Tage des Kommunismus. Ich glaube, sie wissen, dass mehr und mehr Druck und Zwang nicht mehr
funktionieren wird. Der Wind hat sich gedreht.
politik-digital: Der Plattenindustrie schwimmen also die Felle weg und deshalb klammern sie sich an den
DMCA?
John Perry Barlow: Ihr Wirtschaftsmodell passt nicht mehr in die Umgebung, in der sie operieren. Die
Vorstellung, eine Wirtschaft mit immateriellen Produkten, immateriellen Dienstleistungen könnte nicht
gedeihen, ist lächerlich. Sie wird gedeihen! Mit welchem Wirtschaftssystem, das muss sich noch zeigen.
Aber deswegen einfach am alten System festzuhalten ist dumm.
politik-digital: Ihre Einschätzung lässt ein bisschen Hoffnung: Auch wenn Gesetze wie der DMCA
verabschiedet werden, ist noch nicht alles platt gewalzt, denn in ein paar Jahren kann alles wieder ganz
anders aussehen.
John Perry Barlow: Dennoch sollten wir nicht die Zeit damit verschwenden, Fehler zu machen, die wir
später korrigieren müssen, denn so kann dauerhafter Schaden entstehen.
Wenn erst einmal die Architektur des Internet im Sinne von DRM grundlegend geändert ist, ergibt das einen
ausgezeichneten Überwachungs- und Kontrollmechanismus für Redefreiheit. Das bleibt für immer. Die
Platten- und Filmindustrie kann ihr Geschäftsmodell vollständig ändern, aber wenn wir das Internet einmal in
diesem Sinne umstrukturiert haben, dann kann man das nicht mehr rückgängig machen. Das ist die eine
Sache.
Die andere Sache ist, dass die Medienkonzerne einen großen Teil unserer Geschichte löschen werden.
Werke der letzten hundertfünfzig Jahre, die nicht mehr unter Copyright stehen, werden niemals digitalisiert
werden. Wir werden einen großen Teil des menschlichen Wissens verlieren.
politik-digital: Mr. Barlow, vielen Dank für dieses Interview.
Das Interview führte: Dr. Harald Neymanns
Übersetzt von: Jens Mau
Der Titel wurde – als Content ohne Container – gestiftet von: Jan Engelmann, Journalistenbüro Acker 10,
Berlin
John Perry Barlow ist Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation (EFF) und Fellow am
Berkman Center for Internet and Society der Harvard Law School. Außerdem war er Texter der
Gruppe Grateful Dead.
politik-digital: 1998 unterschrieb Bill Clinton den Digital Millennium Copyright Act (DMCA),
gemäß den WIPO (World Intellectual Property Organization) -Verträgen. Wo liegen Ihrer
Meinung nach die größten Fehler des DMCA, die größten Verletzungen von Freiheiten der
Bürger?
John Perry Barlow: Der größte Fehler des DMCA ist, dass die Verknüpfung von Gesetzgebung und
technischem Fortschritt dort zu einer Monopolbildung führt, wo man gerade kein Monopol haben will – im
demokratischen Prozess. Für den demokratischen Prozess ist es unverzichtbar, dass verschiedene
Sichtweisen dargestellt werden können und eine einfache und offene Kommunikation möglich ist. Doch ein
Gesetz wie DMCA bringt die großen Medienunternehmen in den Besitz alles Gedachten und Gesagten –
und das betrifft auch jene Ideen, die schon längst frei zugänglich und nicht urheberrechtlich geschützt sind.
So wird eine faire Nutzung von Ideen und Informationen drastisch eingeschränkt, vor allem weil das
Copyright auf Bereiche angewandt wird, für die es nicht vorgesehen war. IBM benutzt z.B. das Gesetz, um
den Gebrauch und den Absatz ihrer Druckerpatronen zu schützen. Wenn jemand die Druckerpatronen von
IBM nachbaut, macht er sich strafbar [Es dürfen also nur IBM-Patronen in die IBM-Drucker, Anm. d. Ü.]. Und
das ist nur eines von vielen Beispielen. Das andere Problem des Gesetzes ist der Versuch, die Infrastruktur
von Computern und Internet neu zu definieren.
politik-digital: Es gab schon vor DMCA Copyright-Gesetze. Worin unterscheidet sich der DMCA von seinen
Vorgängern?
John Perry Barlow: Durch den DMCA werden Behälter ermöglicht, die man nicht legal öffnen kann.
Gleichzeitig kann man Inhalte in diese Behälter bringen, die eigentlich schon im öffentlichen Raum stehen –
eine Art plötzliche Privatisierung, die einen beträchtlichen Flankenschutz vom Gesetzgeber erhält. Erscheint
beispielsweise Alice im Wunderland als elektronisches Buch – der Urheberschutz von Alice im Wunderland
ist ja schon lange abgelaufen – und jemand will sich das Buch, dann muss er den Kopierschutz brechen. Hat
man ein Tool, um den Kopierschutz zu brechen, dann landet man im Gefängnis wie der russische
Programmierer, der in den Vereinigten Staaten inhaftiert wurde.
politik-digital: Das Ganze erinnert ein bisschen an die Debatte über Verschlüsselung vor einigen Jahren.
Da versuchte der Staat auch, Einschränkungen von Kryptographie vorzunehmen, in dem technische
Schranken gegen die Verbreitung starker Verschlüsselungsverfahren eingeführt werden sollten. Im Endeffekt
konnten die staatlichen Akteure ihre Position aber nur sehr begrenzt durchsetzen, oder?
John Perry Barlow: Das erinnert mich ganz stark an die Debatte über Verschlüsselung, an der ich ja aktiv
beteiligt war. Aber was die Copyright-Gesetze angeht, bin ich nicht halb so optimistisch. Denn in der
Auseinandersetzung um die Verschlüsselung waren wir in der Lage zu zeigen, dass die Beschränkung der
Verschlüsselung-Algorithmen ein direkter Eingriff in das Recht auf Redefreiheit war. Die Einschränkungen
waren verfassungswidrig. Was den DMCA betrifft, scheinen sich die Richter entschieden zu haben, die
Verfassung zu ignorieren. Bei allem, was wir vor Gericht gegen den DMCA vorgebracht haben, hat das
Gericht die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht einmal in Betracht gezogen.
Das ist ziemlich offensichtlich: Wir hatten z.B. einen Fall, wo der Beklagte auf seiner Website Links zu
DeCSS gesetzt hatte, den Entschlüsselungscode für DVDs. Es waren nur Links! Er wurde verurteilt, gegen
den DMCA verstoßen zu haben, für etwas, dass ich klar und deutlich Ausübung der Redefreiheit nennen
würde.
politik-digital: Bei der Frage um Verschlüsselung spielte die American Civil Liberties Union (ACLU) einen
wichtige Rolle. Gibt es eine Zusammenarbeit mit der ACLU gegen den DMCA?
John Perry Barlow: Die ACLU beschäftigt sich nur äußerst widerwillig und langsam mit diesem Thema.
Denn sie wissen, dass sie damit ihre traditionelle Basis gegen sich aufbringen, die Unterhaltungsindustrie.
Ich habe einmal einen Preis von ACLU bekommen und es gab ein großes, festliches Hollywood-Dinner. Als
ich den Preis entgegen nahm, wurde ich fast von der Bühne gebuht. Ich habe ihnen nämlich gesagt, dass sie
– wenn ihnen wirklich etwas an der Redefreiheit liegen würde – sich noch einmal über das Copyright
Gedanken machen müssten. Die Unterhaltungsindustrie ist immer so lange für die Redefreiheit, wie es ihren
Geschäften nützt.
politik-digital: In den USA ist der Teil der DMCA, der am meisten in der Kritik steht, in Überarbeitung, der
Abschnitt 1201. Glauben Sie, dass die Fehler, die Sie gerade angesprochen haben, behoben werden
können?
John Perry Barlow: Ich weiß es nicht. Der Kongressabgeordnete Rick Boucher hat gerade eine
Gesetzesvorlage eingebracht, die den Verbraucherschutz in Bezug auf den DMCA wieder herstellen will.
Allerdings weiß ich nicht, ob der Entwurf verabschiedet wird oder nicht.
In der Zwischenzeit greift die Unterhaltungsindustrie hart durch und schafft neue technische
Beschränkungen gegen die Redefreiheit und die Verbreitung von Informationen. Besonders beängstigend
ist, dass Intel, Microsoft und einige Chiphersteller jetzt mit dem Model des „trusted computing“ aus der
Deckung kommen, was soviel heißen soll, dass du deinem Computer trauen kannst. Es bedeutet aber nichts
anderes, als dass Microsoft deinem Computer trauen kann und Hollywood deinem Computer trauen kann.
Da findet Digital Rights Management (DRM) direkt in der Hardware und dem Betriebssystem statt!
politik-digital: Wie sollten denn Digital Rights gesichert werden? Songwriter, Autoren und Sänger haben
doch schließlich auch ein berechtigtes Interesse an Kopierschutz.
John Perry Barlow: Ich bin ja selbst Songwriter. Das derzeitige System hat doch riesige Tücken und Fehler.
Heute werden einem professionellen Durchschnittsmusiker für Urheberrechte weniger als sechshundert
Dollar pro Jahr gezahlt. Den Rest behalten die Musikkonzerne. Es ist also ein Trugschluss, dass dieses
Gesetz die Rechte der Texter und Musiker schützt.
Meiner Meinung nach ist es in unserem Interesse, dass unsere Arbeit verbreitet wird. Für Musik und andere
immaterielle Produkte im Allgemeinen gelten meiner Meinung nach auch andere Regeln als für materielle
Produkte. Bei materiellen Produkten gibt es einen Zusammenhang zwischen Verfügbarkeit (Knappheit) und
Wert: ein knappes Gut ist teurer. Bei Musik und Gedanken gibt es aber einen Zusammenhang zwischen
Vertrautheit und Wert.
Das zeigt meine persönliche Erfahrung mit den Grateful Dead ganz deutlich. Wir haben unsere Arbeit auch
kostenlos zugänglich gemacht, als wir anfingen, erfolgreich zu sein. Und interessanterweise verkauften sich
alle unsere CDs äußerst gut, gerade weil wir Mitschnitte von unseren Konzerten erlaubten und frei
zugänglich machten.
Was wir vor allem im Auge behalten müssen, sind die Rechte der Songwriter und Autoren, und nicht die der
großen Institutionen. Denn die sind nur daran interessiert, die digitale Verbreitung abzuwürgen.
politik-digital: Aber ist das nicht eher ein moralisches Problem?
John Perry Barlow: Es ist auch ein wirtschaftliches Problem. Philosophisch müssen wir den Begriff
„geistiges Eigentum“ komplett neu überdenken, obwohl es ein noch junger Begriff ist. Vor vierzig Jahren gab
es so etwas noch nicht. Bei der Einführung des Rechts auf und den Schutz des „geistigen Eigentums“
handelte es sich zunächst um einen Schutz der Idee für eine bestimmte, und zwar relativ begrenzte Zeit.
Aber auch schon damals hat man geistiges Eigentum nicht wirklich besessen und ich halte es für irreführend
zu glauben, dass man es jetzt besitzt. Das wäre, als würde man Freundschaften besitzen.
Es sind Dienstleistungen, und keine Produkte. Also müssen wir sie auch wie Dienstleistungen behandeln,
denn man kann – wie schon gesagt – immaterielle Güter nicht als Produkte definieren. Tut man das aber, so
führt das dazu, dass die Leute Tauschbörsen im Netz als ebenso kriminell ansehen wie den Ladendiebstahl.
Da gibt es aber einen großen Unterschied. Wenn du in einen Laden gehst und ein Kleidungsstück klaust, ist
es weg. Die Ware und ihr wirtschaftlicher Wert ist für das Geschäft verloren. Wenn du im Netz einen meiner
Songs runterlädst, habe ich ihn immer noch. Er wird sogar wertvoller, wenn ihn mehr Leute haben.
Wir müssen also die wirtschaftlichen Regeln überdenken. Der bestehende Kopierschutz ist völlig
ausreichend, so lange es das geistige Eigentum schützt, in dem es nur die Container, die Behälter des
geistigen Eigentums, reguliert. Wenn es aber das reguliert, was die Wirtschaft Content nennt, ist das ein
falsches Model. Denn Content hat keinen Container. Also müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.
politik-digital: Nehmen wir einen Verleger, der ein Buch druckt – das Buch ist hierbei der regulierte
Container – und es später elektronisch zugänglich macht, sagen wir als pdf oder ebook. Welches Interesse
hätte ein Verleger einen Autor zu veröffentlichen. Oder brauchen wir bald keine Verleger mehr?
John Perry Barlow: Vielleicht werden die Verleger überflüssig. Ich glaube aber sie werden es nicht, denn
momentan werden mehr Bücher verkauft als je zuvor. Und noch einmal, ich glaube, es gibt eine Symbiose
zwischen dem Verkauf von diesen Containern und der Online-Verfügbarkeit ihres Inhalts. Nehmen wir die
Filmindustrie. Ich kann jeden Film bekommen bevor er angelaufen ist und dennoch: Die Filmindustrie macht
mehr Umsatz als je zuvor. Ich kann jede DVD umsonst bekommen, aber der DVD-Verkauf steigt weiter.
Wieso? Ich denke, es gibt Interesse der Verleger, weiterhin Bücher in physischer Form zu veröffentlichen
und sie dann online zugänglich zu machen. Denn ich glaube, niemand will ein Buch auf dem Computer
lesen. Ich zumindest nicht!
politik-digital: Und wenn sich elektronisches Papier durchsetzt...
John Perry Barlow: Lassen Sie uns über elektronisches Papier sprechen, wenn es wirklich auf dem Markt ist.
Lassen Sie uns über Probleme sprechen, wenn sie sich abzeichnen, denn wir wissen nicht, ob alle
Vorhersagen eintreffen. Viele Einschätzungen über den Einfluss des Internets haben sich als falsch
herausgestellt.
politik-digital: Sie sagen also, der DMCA oder das deutsche Gesetz, sind auf eine völlig digitalisierte Welt
zugeschnitten, eine Welt in der die Computer Bücher und Theater ersetzen?
John Perry Barlow: Genau, aber so eine Welt existiert noch nicht und wird vielleicht niemals existieren. Und
wenn man die gesamte Architektur des Informationssystems auf eine Situation zuschneidet, die vielleicht nie
eintreten wird, ist das unmoralisch. Wir müssen als Gesellschaft für Experimente offen sein und so das
effizienteste Geschäftsmodell finden. Die European Union Copyright Directive (EUCD) macht genau das
Gegenteil. Sie verbaut die Möglichkeit für Experimente und spielt damit wenigen großen
Medienunternehmen in die Hände. Diese Unternehmen haben die Direktive in der EU durchgedrückt und
drücken jetzt sie in Deutschland, Frankreich und den anderen Mitgliedstaaten durch.
politik-digital: Sie engagieren sich vor allem global. Die DMCA und das deutsche Gesetz setzen die
internationalen WIPO-Verträge um...
John Perry Barlow: Aber die WIPO-Verträge wurden von der Unterhaltungsindustrie in Hollywood diktiert...
politik-digital: Sind die Nationalstaaten dann nicht der falsche Ansprechpartner? Die nationalen
Gesetzgeber behaupten, die WIPO-Verträge und die EUCD ließen keinen Spielraum: „Es gibt diese Verträge
und wir müssen sie in nationales Recht umsetzen...“
John Perry Barlow: Dass die Entscheidungen in den großen Institutionen wie WIPO und EUCD gefällt
werden, ist ein Problem. Bisher habe ich noch niemand kennen gelernt, der für WIPO arbeitet und vorher
nicht in der Medienindustrie oder dem Lizenzierungsgeschäft tätig war. WIPO und Medienindustrie sind ein
und das selbe. Die Öffentlichkeit hat keine vernünftige Möglichkeit, diesen Prozess zu beeinflussen.
politik-digital: Sehen Sie hier einen Wandel? Die Diskussionen um eDemokratie fand in den neunziger
Jahren immer auch auf globaler Ebene statt. Auch die Electronic Frontier Foundation (EFF) operiert global
und erreicht mit relativ wenig Leuten ziemlich viel. Ist es unmöglich mit Bertelsmann und AOL Time-Warner
zu konkurrieren?
John Perry Barlow: Für eine so kleine Organisation wie die EFF, die sich mit der gesamten Industrie
angelegt hat, schlagen wir uns sehr erfolgreich. Wir gewinnen öfter als wir verlieren.
Aber auf dem Level der EU ist es sehr schwierig, Einfluss auszuüben. Die einzige Möglichkeit für die
Öffentlichkeit wieder in diesen Prozess einzutreten, ist die nationalstaatliche Ebene. Ich kann mir nicht
vorstellen, die nötigen Ressourcen aus europäischer Ebene zu sammeln, die die EUCD in Brüssel hätten
verhindern können. Aber ich kann mir so eine Koalition in Deutschland vorstellen oder in Frankreich. Und
genau das versuchen wir.
politik-digital: Nehmen wir an, es gäbe keinen DMCA. Microsoft könnte immer noch technische
Beschränkungen in die Software bauen wie etwa die Registrierung von Windows oder die Benachteiligung
von Programmen von Drittanbietern. Können Marktkräfte dieses Problem lösen?
John Perry Barlow: Es gab eine Zeit, da war jede Software kopiergeschützt, und es gab Firmen, die ganz
legal Codes produziert haben, mit denen man den Kopierschutz knacken konnte. Die Firmen haben alle
Codes geknackt und letztlich hat die Software-Industrie verstanden, dass die Leute keinen Kopierschutz
wollen. Die Industrie hat das akzeptiert, denn trotz der Software-Piraterie verkauften sich die Programme
sehr gut. Würde heute so etwas passieren, würde der Verkäufer von solchen Codes angeklagt. Das ist aber
schlecht für den Wettbewerb und die technische Entwicklung.
politik-digital: Was ist ihr Ratschlag an die deutschen Gesetzgeber?
John Perry Barlow: Der deutsche Gesetzgeber sollte sich fragen, ob der wirtschaftliche Schaden so groß ist,
dass es sich lohnt, solche riskanten Langzeit-Effekte in Kauf zu nehmen. Ich glaube nicht, dass eine
Demokratie funktioniert, wenn eine kleine Interessengruppe alle Informationen besitzt. Wie Mussolini sagte:
„Faschismus sollte Korporatismus heißen, weil es die effektive Vermischung von Kapitalgesellschaft und
Staat ist.“
politik-digital: In Deutschland konzentriert sich die Diskussion auf das Thema „Privatkopie“. Trifft es die
privaten Nutzer am Stärksten?
John Perry Barlow: Wir wollen digitale Informationen effektiv nutzen und
wir müssen in der Lage sein, uns zwischen verschiedenen Umgebungen zu bewegen. Wie viele Computer
haben Sie gehabt? Nach 18 Monaten ist ein Computer veraltet. Wenn nur eine Kopie erlaubt ist, muss man
sich beim nächsten Computer alles neu kaufen. Das ist eine sehr große wirtschaftliche Belastung für alle
Computernutzer zugunsten einer kleinen Anzahl Herstellern.
Außerdem ist das Teilen und Tauschen für Menschen die natürlichste Sache der Welt. Das ist fundamental
für menschliches Verhalten, den wir bereichern den Geist, indem wir kreative Arbeit teilen. Nur so blüht
Kreativität. Ich meine, es gibt viele Gründe dafür, dieses Gesetz zu verhindern.
politik-digital: Gab es Fälle in den USA, in denen User, die eine Privatkopie gemacht haben, vor Gericht
gestellt wurden?
John Perry Barlow: Bis jetzt noch nicht. Bisher wurde der DMCA auf CDs und Software mit Kopierschutz
angewandt. Die Musik und Bücher waren lange nicht kopiergeschützt. Das hat erst jetzt angefangen und so
langsam bekommen die Menschen den wahren Druck des DMCA zu spüren. Anfangs konnte der
Kopierschutz konnte mit einem einfachen Filzstift umgangen werden.
politik-digital: Aber ist das nicht die Lösung: Kopierschutz kann größtenteils technisch umgangen werden,
indem man den Kopierschutz mir Software oder einem Extra-Chip umgeht? Man kann doch schon jetzt
Mikrochips kaufen und damit seine Playstation modifizieren und kopierte Spiele und DVDs abspielen. Wäre
das die richtige Antwort auf ein falsches Gesetz?
John Perry Barlow: Ich halte es für eine sehr schlechte Idee, Gesetze zu verabschieden, die dann von der
Gesellschaft ignoriert werden. Daraus ergibt sich nur eine generelle Ablehnung des Rechtssystems. Und
meiner Meinung nach hat die Gesellschaft schon gezeigt was sie von Kopierschutz hält.
politik-digital: Und die technische Lösung, die wir gerade angesprochen haben, bevorzugt diejenigen, die
wissen, wo man solche Chips und Cracks bekommt.
John Perry Barlow: Das Gesetz benachteiligt die Alten und technisch Ahnungslosen und begünstigt die
Jungen und technisch Bewanderten. Das sieht nicht aus wie eine gerechte Sache.
politik-digital: Es kommt zu einer neuen digitalen Spaltung...
John Perry Barlow: Ja, eine neue digitale Spaltung, die bisher größte Spaltung zwischen jung und alt, die
ich kenne. Ich würde es sogar noch drastischer ausdrücken. Wir sollten uns nicht in der Hoffnung
zurücklehnen, dass Anarchie wird das Problem schon lösen wird. Ich glaube nicht, dass Anarchie eine gute
Lösung für irgend etwas ist.
politik-digital: Muss die Antwort auf technische Beschränkung nicht eine technische Antwort sein?
John Perry Barlow: Das wäre der Idealfall. Doch hier liegt das Problem von DMCA und EUCD. Gesetz und
Technologie entfalten gemeinsam eine ungeheure Macht.
politik-digital: Denken Sie an Lawrence Lessig’s „Code-is-law“, wo das Medium „Recht“ neben Infrastruktur
und Marktkräften nur eines Regulierungsmitteln ist. Spielt „Recht“ wirklich noch eine so wichtige Rolle?
John Perry Barlow: Als Larry diese Zeile geschrieben hat, war ich anderer Meinung, weil ich viel
misstrauischer gegenüber Regierungen und Gesetzen bin als er. Aber ich war bereit zu glauben, dass wir
das Medium „Recht“ brauchen, um das übereifrige Verhalten der Protektionisten zu korrigieren. Allerdings
wurde „Recht“ dann zum Verbündeten der Protektionisten. Larrys Vorschlag wollte den technischen Zwang
auflösen, hat ihn am Ende aber vergrößert. Es tut mir Leid, dass die Dinge mit Unterstützung des Rechts
schlimmer geworden sind.
Auch in Deutschland wird sich die Lage mit diesem Gesetz verschlechtern. Aber es ist furchtbar schwierig,
öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema zu bekommen. Wenn du in einem Gespräch, das sich bis dato
mit Fußball beschäftigt hat, anfängst über digitale Reche zu sprechen, wirst du kein beliebter Kerl.
politik-digital: War die EFF in der Global Internet Liberty Campaign (GILC)?
John Perry Barlow: Ja und sie ist es immer noch. Aber auch für eine Organisation wie die UN, die viel Geld
von den Nationalstaaten bekommt, ist es schwierig eine globale Kampagne zu führen. Die einzigen globalen
Kampagnen, die funktionieren, sind die von McDonalds und Nike.
politik-digital: Setzen Sie Hoffnungen in die World Summit of Information Society (WSIS)?
John Perry Barlow: Nein, nicht wirklich. Ich kann mich irren, aber es sieht eher so aus, als ob das Ganze
von den üblichen Verdächtigen auf die Beine gestellt worden ist. Das ist eine Veranstaltung der
Medienunternehmen.
politik-digital: Und der Gipfel findet in der International Telecommunications Union (ITU) statt und das ist
Big Business...
John Perry Barlow: Ja, die PTTs (Post, Telegrafen- und Telekomunikationsunternehmen, Anm. d. R.) sind
dabei, und die sind einer Meinung mit den Medienunternehmen. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber für
gewöhnlich sind ihre Interessen die selben.
Das aggressive Verhalten der Medienriesen stimmt mich aber auch optimistisch. Es erinnert mich an die
letzten Tage des Kommunismus. Ich glaube, sie wissen, dass mehr und mehr Druck und Zwang nicht mehr
funktionieren wird. Der Wind hat sich gedreht.
politik-digital: Der Plattenindustrie schwimmen also die Felle weg und deshalb klammern sie sich an den
DMCA?
John Perry Barlow: Ihr Wirtschaftsmodell passt nicht mehr in die Umgebung, in der sie operieren. Die
Vorstellung, eine Wirtschaft mit immateriellen Produkten, immateriellen Dienstleistungen könnte nicht
gedeihen, ist lächerlich. Sie wird gedeihen! Mit welchem Wirtschaftssystem, das muss sich noch zeigen.
Aber deswegen einfach am alten System festzuhalten ist dumm.
politik-digital: Ihre Einschätzung lässt ein bisschen Hoffnung: Auch wenn Gesetze wie der DMCA
verabschiedet werden, ist noch nicht alles platt gewalzt, denn in ein paar Jahren kann alles wieder ganz
anders aussehen.
John Perry Barlow: Dennoch sollten wir nicht die Zeit damit verschwenden, Fehler zu machen, die wir
später korrigieren müssen, denn so kann dauerhafter Schaden entstehen.
Wenn erst einmal die Architektur des Internet im Sinne von DRM grundlegend geändert ist, ergibt das einen
ausgezeichneten Überwachungs- und Kontrollmechanismus für Redefreiheit. Das bleibt für immer. Die
Platten- und Filmindustrie kann ihr Geschäftsmodell vollständig ändern, aber wenn wir das Internet einmal in
diesem Sinne umstrukturiert haben, dann kann man das nicht mehr rückgängig machen. Das ist die eine
Sache.
Die andere Sache ist, dass die Medienkonzerne einen großen Teil unserer Geschichte löschen werden.
Werke der letzten hundertfünfzig Jahre, die nicht mehr unter Copyright stehen, werden niemals digitalisiert
werden. Wir werden einen großen Teil des menschlichen Wissens verlieren.
politik-digital: Mr. Barlow, vielen Dank für dieses Interview.
Das Interview führte: Dr. Harald Neymanns
Übersetzt von: Jens Mau
Der Titel wurde – als Content ohne Container – gestiftet von: Jan Engelmann, Journalistenbüro Acker 10,
Berlin
Donnerstag, 11. Juni 2020
Welchen Zeitbegriff finden wir in Musik?
Die europäische Geschichtsschreibung zeigt bei ihrer Betrachtung Überlieferungen unterschiedlichster Formen des Musizierens und Philosophierens. Hierbei emanzipiert sich mehr und mehr die Zeit als ein Teil- und Einteilbares Element des Musikschaffens. Beginnend bei der selbstverständlichen Verbindung von Gesang und Tanz in der antiken Musikê spannt sich der Bogen im folgenden Artikel bis zum heutigen relationalen Zeitbegriff.
musik_u_zeit.pdf
musik_u_zeit.pdf
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